Reisepanorama – Frankfurt

Für drei Monate in Deutschland.. Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erleben.

Los geht’s!

Flug

Der Airbus schüttelt sich über dem Arabischen Meer,
Westlich von Indien, da komme ich her.
Wobei ich am Ende von anderswo kam,
Die Reise ihren Anfang in Melbourne nahm.

Das Schütteln schlägt mir auf dem Magen,
Dazu muss ich noch Maske tragen.
Ein Zwischenstop wär auch ganz schön,
Doch kann es da sehr schnell geschehen,
Das man nicht weiterreisen kann.
Darum möchte ich das lieber auch nicht wagen.

Nun ist’s des Klagens aber genug.
Sich ständig zu grämen ist auch nicht klug.
Schliesslich komm ich an zuhaus.
Dann schlafe ich mich erst einmal aus.

Frankfurter Erlebnis

Ein schönes Haus Nähe Töngesgasse.
Ein Mann fotografiert eine Frau, die da schläft auf der Straße.
Ich frage ihn ob er Urlauber wär.
“Nein, ich bin Hausmeister”, antwortet er.
“Selbst wenn man sie auffordert, sie wollen nicht gehen.
Die Mieter im Haus, die wollen das nicht sehen.”
“Wo soll sie auch hin?”, werfe ich ein.
“Ihr fehlt, was Sie haben, ihr fehlt ein Daheim.”
“Für 4000 Euro Miete, da ist es nicht schön.
Vor seiner Wohnung Leute campieren zu sehn.”
“Vielleicht, statt mit ihrem Reichtum zu prahlen.
Sollen die Mieter etwas mehr Steuern bezahlen?”
“Steuernzahlen ist, was keiner mag.”
Wir wünschen uns einen guten Tag.

Bahnhofsviertel

Frankfurt war mein erster Anlaufpunkt. Den Flug hatte ich mehr oder minder gut überstanden – auf dem Flug von Dubai nach dort hatten sich Magen und Kopf von der Schüttelei erholt, und alles ging nach Plan: Sogar das Gepäck kam gut erhalten an.

Ich hatte auf dem zweiten Flug für einen Internetzugang extra bezahlt und ein Hotel nahe des Bahnhofes gebucht. Bahnhofsviertel, naja, meinte ein Einheimischer in der S-Bahn, den ich nach dem Weg befragte. Ein etwas zwielichtiges Viertel, gab er mir zu verstehen.

Nach ein wenig hin und her – der Ausgang war etwas schwierig zu finden, auch, da im Bahnhof gebaut wurde, war ich auf dem richtigen Weg. Ein buntes Viertel mit viel Gaststonomie und wohl auh ein wenig mehr. “Willst Du Spaß, Süßer”, sprach mich eine junge Dame an. Es kam etwas unerwartet, doch fiel mir eine Antwort ein: “Nein, danke. Ich hab schon genügend Spaß.” “Wirklich nicht?” – ich ließ sie stehen. Wenn ich mich  überrumpelt fühle, ist das für mich eine Schutzaktion.

An der Rezeption waren zwei junge Frauen, französisch sprechende Backpackers, die wohl im falschen Hotel gelandet waren. Der Angestellte bestellte ein Taxi für sie. Eine der beiden liefen Tränen über das Gesicht. “Are you okay?”, fragte ich sie. “No. Nein. Not really.” Ihre Begleiterin versuchte sie zu trösten. Ich hätte das auch gern getan, wie vielleicht meine Tochter. Ich glaube, da waren schon ein paar andere Erlebnisse auf ihrer Reise, das falsche Hotel war sicher nicht der einzige Grund, um so zu schluchzen.

Am nächsten Tag lief ich bei hochsommerlichen Temperaturen, das Thermometer stieg auf 37 Grad, durch die Stadt. Ich war früh aufgewacht, sah, wie die Flugzeuge auf dem blauen Himmel ihre Bahnen zeichnen, und beschloß nicht lange zu warten.

Der Bäcker fürs Frühstück war Tony aus Mazedonien. Ich fragte ihn, ob Alexander der Große Grieche oder Mazedonier gewesen sei. Die Mutter wäre Griechin gewesen, darim streiten sich die Nachbarvölker noch immer darum. Ich mußte lachen. Ein Melbourner Freund, Sohn griechischer Einwanderer, scherzte über eine Freundin: “Sie ist Griechin, weiß es aber nicht.”

Ich hoffe, daß die Balkankriege Geschichte sind und bleiben. Wie mir in Melboune erzählt wurde, hat dort das Essen dazu beigetragen. Viele Griechen wanderten bald nach dem Zweiten Weltkrieg aus, die Türken kamen etwas später. So fanden die türkischen Migranten vertrautes Essen bei ihren Nachbarn aus der Alten Welt.

Zwei junge Männer kamen in den Laden und fragten nach einer Toilette. Entweder gab es keine, oder nur für Gäste, ich weiß es nicht. Jedenfalls zogen sie ab. “Pinkeln wir auf die Straße. Das machen hier doch alle so.” Ich gestehe, das hat mich einigermaßen geschockt.  Manchmal vermisse ich die Melbourner, denen man auf den Fuß treten kann und die dann um Verzeihung bitten. Sorry! Vor gut zwanzig Jahren habe ich hingegen eine Gruppe junger Engländer:innen im Bus gesehen, die auf ein Niesen unisono “Gesundheit!” riefen. Diese deutsche Höflichkeit amüsierte sie sehr.

An deutsche Toiletten und besonders das Bezahlen für deutsche Toiletten muß ich mich erst einmal gewöhnen. Besonders ärgerlich empfinde ich es, vor einer Barriere zu stehen, die passend Kleingeld verlangt. Bei einem früheren Besuch bin ich eimal fluchend über so eine Schranke gesprungen, nachdem sie mein Geld geschluckt hatte ohne sich zu öffnen. Ich kenne das Argument daß es für saubere Toiletten sorgt. Meine Erfahrung aus Australien sprcicht dagegen: Ich finde die dort “unbezahlten” Toiletten nicht als schmutziger.

Reichtum alt und neu

Blau und gelb: Das Euro-Symbol in Frankfurt und die Ukraine-Fahne

Es war immer noch früher Morgen, als ich mich auf den Weg machte, die Innenstadt zu erkunden. Ich sah den Dom der Stadt, ging hinein und fand einen katholischen Gottesdienst. Für einen Norddeutschen mit “lutheranischen Hintergrund” ist mir das doch etwas fremd, so schlich ich mich bald wieder hinaus. Mir war aufgefallen, daß der Pfarrer ein alter Mann war, seine anwesende Gemeinde komplett weiblich, vielleicht zwanzig Frauen stark, darunter drei Nonnen.

Frankfurt riecht nach Geld, viel Geld, wie die Fotos zeigen, aus der Zeit als Freie Reichsstadt bis hin zum Frankfurt, in dem mit der Europäischen Zentralbank das Bankherz Europas schlägt.

Nach dem Krieg wurde zum Teil wiederhergstellt, zum Teil neu gebaut

Zweistöckiger Fahrradparkplatz in der Innenstadt

Kleine Markthalle

Ich bin auch über den Eisernen Steg gelaufen, über den Main hinweg. Die griechische Inschrift hat mich verwundert. Die Wikipedia verrät mir, daß sie erst im Goethejahr 1999 von Hagen Bonifer aufgetragen wurde, und aus Homers Odyssee zitiert und von weiten Seefahrten verkündet, die in ferne Länder und zu fernen Sprachen führen. Genügend um die Ecke gedacht, um die Archäologen der Zukunft zu verwirren.

Von Joachim Rother habe ich erfahren, daß die Römerhalle seinen Namen nicht nach dem Römischen Reich trägt, sondern nach den italienischen Händlern im Mittelalter, die hier ihre Waren feilboten.

Joachim Rother gehörte zu den Veranstaltern einer Kunstausstellung der “Palette”, einer Künstlergruppe der Stadt. Er ist Jazzenthusiast. Er sprach davon, wie die amerikanischen Besatzer nach dem Krieg die Frankfurter Jazzszene inspirierten. Er selbst lernte Banjo, das schien ihm am einfachsten. In einem Teich vor der Alten Oper hat Albert Mangelsdorff Vogelstimmen aufgenommen. Ein Foyer der Oper ist heute nach Albert Mangelsdorff benannt.

Ein Bild aus der Palette-Ausstellung: Zofia Kwestorowska-Markowsky, Erwartungen

Schließlich fuhr ich mit vielen vielen Abkühlingssuchenden mit der U-Bahn zum Brentanobad hinaus. In seinem 220 Meter langem Backen tummelte sich jung und alt, Kinder tobten, Paare küßten sich, ältere schwammen, auf den Wiesen wurde gelegen, gelesen und gegessen, es wurden Würstchen gekauft und Eis geschleckt.

Für den Heimweg ins Hotel nahm ich noch einen Schlenker und lief durch den Wald zu einem Biergarten. Zum Essen kam ein sehr deutscher Salat mit Gurken und natürlich gab es einige Sorten Bier.

Eine Stunde Sonnenuntergang

Diese Woche unternahm ich mit einem Freund eine Fahrradtour entlang der Bucht. Wir hatten uns einen Tag freigenommen und begannen unsere Reise um 9 Uhr. Der Himmel war blau und die Sonne schon eine Weile darinnen, es versprach ein herrlich angenehmer Tag zu werden, trotzdem war es zunächst noch recht kühl, wenn auch schon warm genug, daß man seinen Atem nicht sehen konnte. Das kommt manchmal an Melbourner Wintermorgen vor.

Mit Enthusiasmus und ansehnlichem Schwung machten wir uns auf den Weg nach Frankston. Der erste Teil der Strecke ist mir seit meinem ersten Arbeitsplatz in Beaumaris vertraut. Dort machten wir eine Pause, die genauer gesagt eine Strandwanderung war. Vor Beaumaris liegt eine Steilküste und das flache Wasser ist steinig. Nicht so gut zum Schwimmen, dafür ist diese Küste ein Paradies für Vögel, Fische, Krebse und mehr.

Nach einem weiteren Stop am Bridge Hotel in Mordialloc, auf dessen Verandah wir schwarze Materie, Guinness, und etwas zu essen zu uns nahmen, erreichten wir schließlich Frankston, etwa 50 km von der Innenstadt entfernt. Wir versuchten, Olivers Hill zu umgehen, da uns der Weg hinauf etwas unbequem vorkam. Nicht nur, daß es steil bergauf geht, auch gibt es anscheinend keinen guten Fahrradweg. Direkt auf dem Nepean Highway zu radeln, während Autos mit 60km/h vorbeizischen, gefiel uns nicht so sehr. Allerdings ist der Pfad an der Bucht sehr schmal. Ab und an landet man direkt am Wasser, auf Steinen. Nichts für Radeler, wir traten den Rückzug an.

Zunächst wieder bis Mordialloc, wo wir beratschlagten, die Bahn zu nehmen oder aber weiterzuradeln. Ich sah mir die langsam niedersinkende Sonne an und war von der Idee, diese zur linken über dem Meer untergehen zu sehen, angetan.

Ich sollte nicht enttäuscht werden. Während wir der Stadt näher kamen, immer an der Bucht entlang, präsentierte sich das Ende des Tages ganz spekatakulär. Zuerst färbte die Sonne niedrigziehende Wolken in flammendes Orange, dann glitzterte das Meer, kleine Wellen rippelten die Oberfläche in Silber, Schuppen eines Fisches ähnlich. Am Horizont zeigten sich noch einmal die Farben eines Spektrum, rötlich, bleichgelb und sanftes Blau.

Es zeigte sich nun auch das Menschenwerk, die Bucht wird von einem Lichtband umspannt, die Häuser, in denen wir wohnen. Schließlich sahen wir die Büro- und Appartmenttürme der Innenstadt, das Ende unserer Tagestour nahte.

Ich konnte mich an dem Licht- und Farbenspiel kaum sattsehen.

Auch wenn beim Fahren auf dem Fahrradweg neben einer Straße sich nicht ganz die Idylle des Outbacks bei Coober Pedy, die ich mit meinem Sohn vor etwa drei Jahren erlebt habe( https://www.petros.id.au/?p=210 ), einstellt, war es sehr schön. Gute Gesellschaft, frische Luft und das Gefühl von 120 km in den Beinen haben ebenfalls dazu beigetragen.

Labour Day (Tag der Arbeit) und Gewerkschaften in Australien

Nun, da es Winter geworden ist, finde ich etwas Zeit, um über den Labour Day zu schreiben. Ich finde es erstaunlich, daß die Geschichte dahinter kaum erwähnt wird. Ganz anders als der ANZAC Day, der etwas mit Krieg zu tun hat. Da sind die Zeitungen voll und voller.

Vor unseren Bundeswahlen im Mai war ich u.a. zu einer Verantstaltung des ACF, des Australian Conservation Funds, um umweltfreundliche Politik zu unterstützen. Die Verantstaltung fand in der Trade Union Hall statt. U.a. sprach dort ein Gewerkschafter über die Unterstützung von Umweltpolitik durch Gewerkschaften. Ich hielt es für geschickt. In Australien, wo Bergbauunternehmen nicht nur wirtschaftlich stark, sondern auch politisch tonangebend sind, wird sehr häufig Umweltschutz als der Ökonomie und dem Arbeitsmarkt entgegenstehend dargestellt.

Die Trade Union Hell ist möglicherweise das älteste Gewerkschaftshaus, welches noch heute diesem Zwecke dient. Es wurde 1859 gebaut. An der Wand hängt ein Banner, welches auf das legenäre 8-8-8 verweist – 8 Stunden Arbeit, 8 Stunden Freizeit, 8 Stunden Schlaf. Der Trade Union Hall gegenüber steht ein Denkmal, welches ebenfalls daran erinnert.

 

Da Australiens weiße Besiedlung als Strafkolonie begann, wurden zunächst die Gefangenen als billige und praktisch ohne Einschränkung verfügbare Arbeitskräfte angesehen. Sich dagegen aufzulehnen oder zu organisieren war kaum möglich. Auch von Gerichtes Seite konnte man keinen Schutz erwarten. So wurde z.B. 1822 der Schäfer James Straighter zu 500 Peitschenhieben, einem Monat Einzelhaft und 5 Jahren Gefangenschaft extra verurteilt. Sein Vergehen war der Versuch, andere Strafgefangene zu organisieren, um höheres Gehalt und größere Essensrationen zu bekommen.

Langsam veränderte sich die Gesellschaft. Als in den frühen Fünfzigern des 19.Jahrhunderts Gold gefunden wurde, nahm der Ansturm auf Australien zu, ebenfalls der Reichtum. Die Melbourner Bauarbeiter konnten 1855 mit Hilfe von Streiks den Achtstundentag durchsetzen. Andere Berufszweige und Städte folgten, bis schließlich der Achtstundentag in Australien  der “Normalfall” wurde.

Ich halte es für keinen Zufall, daß in den letzten Jahrzehnten die Anzahl der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter zurückging, während die “Gig-Ökonomie”, welches man früher Tagelöhnertum nannte, zunahm und die Löhne stagnierten. Die “konservativen” Regierungen seit John Howard haben das beste versucht, um Gewerkschaften zu schwächen, unterstützt von Murdochs Revolverblättern. Als John Howard 1996 Ministerpräsident wurde, waren 30% der Arbeiter organisiert, heute sind es gerade 15.

(Anmerkung: Ich mag das Wort “konservativ” in diesem Kontext gar nicht. Meiner Meinung sind die Anhänger von Thatcher und Co Radikale, die die Gesellschaft nicht schützen, sondern untergraben und spalten. Ich halte mich für konservativ, bewahrend.)

In der letzten Zeit wuchs der Widerstand. Gewerkschaften sprangen ein, um z.B. für Über-Kuriere besseren Arbeitsschutz und eine Minimalentlöhnung zu sichern. Immer mehr bemerken, daß Gewerkschaften durchaus nützen.

Es ist am Ende doch nicht erstaunlich, daß die Geschichte hinter dem Labour Day in den Medien kaum Erwähnung findet.

Ein Abend für Asylsuchende

An einem unserer kühlen Winterabende dieser Woche machte ich mich auf den Weg ins Einwanderungsmuseum. An diesem Abend gehörte es dem Asylumseeker Resource Centre, einer Freiwilligenorganisation, die seit langem asylsuchende Flüchtlinge unterstützt. In den letzten zwei Jahren entstand das Buch Seeking Asylum – Our Stories. 23 Asylsuchende wurden fotografiert und gebeten, etwas von ihren Erfahrungen zu berichten.

An diesem Abend wurde das Buch vorgestellt. Einige der Autor(inn)en standen auf der Bühne, es gab eine kurze Gesangseinlage eines Tibeters, den es nach Melbourne verschlagen hat, man konnte sein Buchexemplar signieren lassen und es gab für uns, die Unterstützer der Resource Centres die Möglichkeit, uns miteinander auszutauschen. Vieles war spontan. So kam ich mit einer jungen Kolumbianerin aus Bogota ins Gespräch, die sich darüber freute, dass in ihrer Heimat eine Regierung der Linken gewählt wurde. Mit ihrer Freundin unterhielten sie sich über ihr Leben dort, übers Feiern und Tanzen, über ihre Zeit hier in Melbourne und Träume, mehr von Europa zu sehen. Später sprach ich mit einem gebürtigen Melbourner, der seit vier Jahrzehnten in Gippsland, einer ländlichen Region zwei, drei Autostunden westlich unserer Stadt in Sale wohnt, da er dort seine heutige Frau, eine Einwanderin aus Sri Lanka, kennengelernt hatte. Sie, europäischer Abstammung, verließ ihre alte Heimat nach der Unabhängigkeit des Landes, welches zuvor als Ceylon zum britischen Empire gehört hatte. Er hatte sich die Zeit für diese Veranstaltung genommen, obwohl er eigentlich auf dem Weg zum Spiel seines Footyteams im MCG war. Er wird sich gefreut haben, die zweite Hälfte im Stadion und sein Team gewinnen gesehen zu haben.

In Sachen Flüchtlingspolitik erwarte ich auch von einer Laborregierung keine Wunder. Die Diskussion zu dem Thema ist seit Jahrzehnten vergiftet und ich glaube nicht, dass sich die neue Regierung zu sehr die Finger verbrennen möchte. Trotzdem, es ist vielleicht kein schlechtes Zeichen, dass Andrew Giles seit zehn Jahren der erste Minister für Einwanderung ist, der diese Woche das Resource Centre besucht hat. Ein Besuch, der außerhalb dieser Veranstaltung kaum Erwähnung fand. Weder ABC noch SBS oder ein privater Fernsehsender oder eine der größeren Zeitung berichteten davon. Ich fand es beim Greek Herald, einer Zeitung für griechische Einwanderer.

Psst, nicht weitersagen, die neue Regierung traut sich vielleicht doch was?

Fließend Wasser

“Hier stand einst das All English Eleven Hotel. Im Jahre 1897 war es das erste Gebäude in dieser Gegend, welches an das öffentliche Abwassersystem angeschlossen wurde.”

Diese Plakette fanden wir gestern auf einem Spaziergang.

Selbst in meiner Kindheit in China auf dem Lande gab es für uns kein fließend Wasser im Haus, erinnert sich meine Frau. Ihre Eltern waren Lehrer in der südlichen Provinz Guangxi, in einer Kleinstadt namens Zhaoping. Sie hatten sich beim Studium in einer größeren Stadt, in Guilin, kennengelernt. 1963 war ihr Studium zu Ende und die Behörden schickten sie in eine Schule irgendwohin, je nach Bedarf. Die familiäre Herkunft spielte dabei eine nicht unwesentliche Rolle. Meine Schwiegereltern hatten eine damals unvorteilhafte Herkunft, beide ihrer Elternhäuser waren vor der Machtübernahme durch die Kommunisten wohlhabend gewesen. Angelegenheiten des Herzens waren ohnehin von untergeordneter Natur, und so war ihr Arbeitsplatz in verschiedenen Städten, hunderte Meilen voneinander entfernt. Er kam nach Nanning, die Hauptstadt von Guangxi, während sie ihre Arbeit an einer Mittelschule in Zhaoping aufnehmen mußte.

Für vier Jahre versuchte er, sie und seine Familie in die Großstadt zu bringen, in der das Leben in vierlei Hinsicht besser war. Es ergab sich aber nicht. Schließlich gab er auf und zog zu ihr aufs Land.

Die Lehrer der Mittelschule waren in einem Wohnkomplex untergebracht, in dessen Mitte sich die Wasch- und Kochmöglichkeiten befanden. Dort gab es fließend Wasser, kalt und warm. Man wusch sich dort und ging auch nahebei in eine örtliche Toilette, ein Loch im Boden, über das man sich hockte. Für Bedürfnisse im Dunkeln stand ein Nachtpot an der Tür, der morgens dann gesäubert wurde. Oft war dieser Nachtpot ein Teil der Aussteuer, die einer Frau bei ihrer Heirat auf den Weg gegeben wurde. Fürs Händewaschen gab es einen Wassereimer, der hinter dem Haus in einen Kanal geleert wurde.

In den Sechzigern war die Kulturrevolution in vollem Gange. Die Lehrer gingen mit ihren Schülern regelmäßig in die Reisfelder, um bei der Aussaat zu helfen. Auch wenn Intellektuelle verschrieen waren, waren sie denn doch manchmal nützlich. Meine Schwiegermutter fiel durch ihre gute Handschrift auf und wurde für “freiwillige” Arbeit in einer Propagandaeinheit eingestellt. Unsinn auf Plakate zu malen war besser als im Wasser zu stehen, während sich die Polypen an den Beinen festsaugen, befand sie.

Auch ihr Mann versuchte, das Beste aus den Möglichkeiten zu machen. Er ernannte sich selbst zum Federballtrainer und übernahm die Musikanlage der Schule. Es war ihm überlassen, Platten zu kaufen. Er genoß die Freiheit. Während klassische chinesische Musik verboten war, es gab nur eine Handvoll revolutionärer Opern, die unter Mao aufgeführt werden durften, wurden klassische Orchesterwerke aus dem Westen toleriert. Meine Frau wuchs daher mit dieser Musik auf. Ihr Vater organisierte Konzertabende in der Schule, Vorführungen verschiedenster Art und hatte letztendlich eine Menge Spaß dabei, wie meine Frau meint. Sie erinnert sich, dass er einmal ein Flugzeugmodell bastelte und durch den Raum fliegen ließ.

Als Angestellte in der Stadt bekamen ihre Eltern regelmäßig eine Portion Reis, die mit Bauern aus der Umgegung getauscht wurde. Ihre Familie hatte “Geschäftsbeziehungen” mit einem Bauern, der mit frischen Reis zu ihnen kam und ihn gegen den alten aus der Familienration eintauschte, im Verhaltnis 1:2. Er trug den Reis und anderes ausbalanziert an den Enden eines dicken Bambusstockes, den er sich über die Schultern legte. Ein lokaler Bauernmarkt im Ort trug ebenfalls dazu bei, daß sie für ihre Umstände recht gutes
Essen auf dem Tisch hatten.

Währenddessen wurden ihre Eltern, die Großeltern meiner Frau, nicht jünger. Sie lebten in Wuzhou, einer etwas größeren Stadt einige Stunden flußabwärts am Gui, der sich in Wuzhou mit dem Xun verbindet. Meine Frau besuchte oft ihre Großeltern in den Ferien. Auf dem Fluß ging sie auf die Reise. Ein Schiff, mit Früchten und Gemüse beladen, brachte sie in die Großstadt und zurück. Sie genoß es, einige Stunden auf geladenen Kohlköpfen zu sitzen und sich die Natur anzuschauen.

Der Großvater war vor der Revolution Hotelbesitzer gewesen. Wohl hatte er sein Heim und seinen Reichtum verloren, sich dann aber doch mit den Kommunisten arrangiert, die seine geschäftlichen Faehigkeiten zu schätzen wußten. Er wurde Leiter einer lokalen Handelskammer.

Er hoffte, daß er seine Beziehungen nutzen konnte, um seine Tochter und deren Familie nach Wuzhou zu holen. So schrieb er einen Bittbrief an lokale Behörden. Seine Tochter hatte in der Propagandaeinheit, in der sie arbeiten mußte, einen hohen Offizier kennengelernt, der ebenfalls eine Kopie des Bittbriefes bekam. Als er nächstes Mal nach Wuzhou fuhr, nahm er meine Schwiegermutter mit. In Wuzhou gab es einen größeren Militärkomplex mit einer eigenen Schule.

Der Offzier fuhr mit dem Jeep vor und beauftragte einen seiner Untergebenen damit, für die mitfahrende Frau zu sorgen. Beeindruckt von der Vorstellung, sie mußte schon was besonderes sein, wenn der Offizier sich darum bemühte, nahm sich der Beauftragte dieser Angelegenheit an. Bald schon bekam sie eine Anstellung in der Schule. Sie konnte zunächst nur ihre Tochter mitbringen, Mann und Sohn blieben ein weiteres Jahr in der Kleinstadt, da sie dort in der Schule nicht zwei Lehrer gleichzeitig abgeben wollten.

Schließlich, im Jahre 1980, war die Familie wieder vereint. Mein Schwiegervater war sehr froh, in einer Wohnung zu wohnen, in der fließend Wasser, Toilette und Küche zu finden waren. Mehr brauche er nicht zum Leben, sagte er angesichts des Wohlstandes. So erinnert sich meine Frau.

Die Arctic Monkeys kommen!

Blauer Himmel Sonnenschein
Und ich steh hier am Strand allein
Einfach zu verstehn
Der Grade sind es zehn
Die meisten wolln im Warmen sein.

Ja, ich habe soeben auf einem Plakat gelesen, daß die Arctic Monkeys im Januar hier spielen. Dann ist es Sommer. Im letzten Sommer habe ich mich kurz entschlossen, eine Eintrittskarte für eine US-Amerikanerin zu kaufen, die nun im Winter hier ein-, an- und auftritt. Das ist nun nächsten Sonntag, falls sie nicht inzwischen abgesagt hat.  Nochmal nachgucken: Ja, es sieht so aus, als wenn Chelsea Wolfe hier spielen wird.. Es ist für mich noch immer ungewöhnlich, ein halbes Jahr voraus zu planen.

Im Moment sind hier eher antarktische Winde zuhause. Ich sitze vor dem Gasheizer, zwichen mir und der Heizung hat sich A Bai, unsere Katze gedrängelt.

Musikalisch habe ich die letzte Stunde mit einer neuen Platte aus Melbourne verbracht, die mich oft Jahrzehnte in die Vergangenheit reisen ließ. “Rotsler’s Rules” von Black Cab klingen nach Tangerine Dream, Kraftwerk, New Order, Giorgio Moroder und Jan Hammers Musik für Miami Vice.  Genug, um für 36 Minuten unterhaltsam zu sein. Ein Stück heißt KarlMarx Stadt, was mich verwundert hat. Ich habe bei DuckDuckGo nachgeguckt und unter dem Namen ein Bauteil für elektronische Musik gefunden, welches vor ein paar Jahren in Polen hergestellt wurde. Ich vermute, das Stück wurde eher danach benannt als nach der Stadt, die seit dem Ende der DDR nun wieder Chemnitz heißt. Ich habe einen Mitstudenten, der in Karl-Marx-Stadt in der DDR geboren wurde. Der Arme hat heute weder Herkunftsort noch Herkunftsland, zumindest dem Namen nach.

Auf der Südhalbkugel bin ich zwar jahreszeitenmäßig immer im Gegensatz zum Norden, was Jahrzehnte angeht, sieht es hier doch oft ähnlich aus wie in Deutschland und anderen europäischen Ländern. So bin ich erst über Straßen geradelt, die aus Betonplatten bestehen, ähnlich den Autobahnen, die man im Osten Deutschlands, in der DDR, befuhr, Stoß für Stoß hörend, wie auf alten Eisenbahnschienen. Kein Wunder, Garden City wurde seit den Dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts bebaut, und die Platten mögen auch seit damals hier liegen.

 

Sometimes you think of Bowness – Manchmal denkst du an Bowness

Bevor ich zum ersten Mal nach Melbourne kam, wurde mir die Stadt als “die britischste” der australischen Großstädte beschrieben. Als ich in das Zimmer kam, in dem ich gerade schreibe, an einem wintrigen, regnerischen Abend, schaute mich die Katze kurz an und ging hinaus. “Wenn Deine Seele eine Katze ist, dann such dir jemand den du ignorieren kannst.” So oder ähnlich habe ich ein paar Zeilen im Kopf, die von einem der Gedichte kommt, die ich gerade gehört habe.

We Come From The Sun, Wir kommen von der Sonne, heißt eine gut halbstündige Platte, die ich heute abend gefunden habe. Cerys Matthews hat sie mit Hidden Orchestra komponiert. Diese atmosphärischen Klänge, die Gedichte von 10 Dichtern aus  dem Vereinigten Königreich untermalen, sind ordentlich ein paar Meilen von der Cerys Matthews entfernt, die in den 90ern am Mikro der Rockband Catatonia “Storm The Palace”, Stürmt den Palast, sang, ein Lied, in dem sie dazu aufrief, die königliche Familie zum Arbeiten in den Supermarkt zu schicken.

Die Platte und die Gedichte klingen nach Regen und Wetter und Fußball, nach britischen Inseln, und ein Hauch davon weht derzeit auch in eisigen Regenschauern durch Melbourne. Heute hat das Thermometer gerade mal die 10 Grad überschritten, und unweit der Stadt, so hört man, hat es geschneit. Es ist der erste Tag des Monats Juni, dieser Temperatursturz kommt doch recht früh. Es ist die Zeit, in der man sich hier den Schal um den Hals legt und den Schutz von Vordächern und Häusern, sein Zuhause, die Kneipe oder den Konzertsaal aufsucht.

Einen sehr kleinen Konzertsaal, den band room eines Hotels, einer Kneipe in Northcote, habe ich vor kurzem besucht. Das Wetter war so-so, draußen stand “Booze”, Fusel, dran, die Kneipe war etwas mehr als wohnzimmergroß, der band room dahinter ebenfalls. Den Schlaks neben dem Eingang erkannte ich wieder, Andy White, ein irischer Folksänger, der hier sein Zuhause gefunden hat. Vor mir saß auf dem Boden ein junger Mann mit dunkelbemalten Fingernägeln, der später Andy am Schlagzeug begleiten sollte: sein Sohn.

Doch zunächst betrat Kavisha Paola Mazella mit ihrer Gitarre die Bühne. Walk with me through the pouring rain, geh mit mir durch den Regen, der auf uns niedergießt, sangen, brummten und summten ein paar Minuten später die vielleicht dreißig Gäste, als sie ihr Lied über St.Kilda sang. St.Kilda ist bei mir um die Ecke, am Wasser, ein Badeort, der ein wenig was vom Prenzlauer Berg an sich hat, aufgehübscht und dazwischen die, die nicht so recht reinpassen, auf der Straße zuhause sind und sich bei Brot und Suppe in der Sacred Heart Mission aufwärmen.

Ein anderes Lied, welches mir im Gedächtnis geblieben ist, heißt Viva Sara. Vor eingen Jahren war sie im Süden Frankreichs, am Strand von Saintes-Maries-de-la-Mer. Am 24.Mai jeden Jahres ehren die Romani ihre Heilige mit einem Fest, an dem gesungen, getanzt und gefeiert wird. Die Romani kommen von überall her, von allen Ecken Europas. Die Mütter und ihre Kinder sitzen dabei auf den Dächern, erzählte die Sängerin von ihren Erinnerungen an das Fest am sonnigen Mittelmeer, bevor sie ihr Lied anstimmte.

Sie ist in Perth aufgewachsen, wo auch ein Bogenschütze herkommt, neben dem ich an Sonntagen öfter mal an der Linie stehe, wenn ihn nicht der Beruf woandershin verschlägt. Aaron Wyatt spielt Geige und dirigiert. Das tat er auch bei einen der freien Konzerte, die das Melbourne Symphony Orchestra jedes Jahr im Sommer in der Domain veranstaltet. Er dirigierte das Welcome to the Country, ein Willkommen der Aboriginals. Es sang die Aboriginal Sopranistin Deborah Cheetham, die es auch komponiert hatte.

Ich meinte, ihre voluminöse Stimme schon einmal gehört zu haben, in der Nationalgalerie hier in Melbourne. Damit lag ich richtig, ihre Stimme und ihre Eigenkomposition begleitet eine Videoinstallation, die mich fasziniert hat.

Man betritt einen in Dunkel gehüllten Raum, kann sich in einen der Bettsäcke versinken lassen und hört Deborah Cheethams Stimme, eine Komposition, die etwas von Wagner hat. (Das darf gern von Experten bezweifelt werden, es ist mein Eindruck.) Reko Rennie hat die Installation geschaffen. Ein dreigeteilter Schirm, links und rechts gespiegelte Nahaufnahmen, in der Mitte die Stadt. zeigt ihn in einem Holden Monaro von 1973. Er fährt in die Dämmerung, die Nacht durch den inneren Westen der Stadt, der durch den Hafen und Industrie gezeichnet ist und Blicke auf die beleuchteten Türme der Innenstadt freigibt.

Es sind mir vertraute Anblicke. Ich komme aus einer Hafenstadt, mein Vater hat im Hafen gearbeitet. Heute lebe ich nahe von Hafenanlagen, wenn ich abends von zuhause an die Bucht gehe, sehe ich Krane, Pier und Schiffe.

Apropos Zuhause und Industrie: Nahebei ist eine Fabrik, die Vegemite herstellt. Vegemite ist ein salziger hefiger Brotaufstrich, den zu mögen es durchaus Gewöhnung und australischer Kindheit bedarf (also kurz: nichts für mich).

Die lokale Verwaltung hat den Geruch dieser Fabrik als kulturell relevant eingestuft. Fishermans Bend, wie die Gegend heißt, wird über die nächsten Jahre von einer Gegend mit Lagerhallen zu einer mit Wohnhäusern werden. Dabei soll dieser Geruch in irgendeiner Form bewahrt werden. Ich weiß nicht so recht, was das heißen soll.

Einen ähnlichen Geruch kenne ich aus meiner Heimat in Rostock, als ich nahe einer Brauerei wohnte. Es roch nach Bier und Hefe. ich hatte mich dran gewöhnt und mochte den Geruch.

Die Brauerei zeigte zu meiner Seite eine hohe fensterlose Wand. Unten war eine kleine Tür, über der “Haustrankabgabe” stand. Hier bekamen die Arbeiter regelmäßig einen Kasten Bier als Teil der Entlohnung.

Neben der Tür standen die Öffnungszeuiten und der Hinweis: “Im Notfall bitte Telefonnr. …. anrufen.” Wie wohl so ein Notfall aussah?

 

In der Innenstadt

Nach dem Gärtnern heute bin ich in die Innenstadt geradelt, mich an eine Geschenkkarte in meinem Portemonnaie erinnernd. Ich nahm an, daß es sich um ein Geburtstagsgeschenk handelte, bei genauerem Hingucken stellte sich heraus, daß ich sie schon seit Weihnachten habe.

Normalerweise dauert es nicht so lange, bis ich so eine  Karte in Bücher umwandele. Im Moment bin ich immer noch ein wenig unter Pandemieschock, nehme ich an. Alles ist ein wenig weniger geworden, was ich sonst so gesellschaftlich und andererseits betrieben habe. Eine Art Winterpause hat mein Leben befallen, und danach dauert es ein bißchen, bis die Pflänzchen wieder sprießen.

Das Gleiche erhoffe ich mir von der politischen Landschaft. Die letztwöchige Abwahl der Regierung hatte schon etwas von Zeitenwende in sich. Es war ein lautes “Genug” gegen Inkompetenz und Gemeinheit. Wie weit das Ansinnen der Neuankömmlinge im Parlament, die sich Aktion gegen Klimawandel  auf die Fahnen geschrieben haben, in Taten umgesetzt wird, werden wir sehen. Australien hat nicht nur in dieser Hinsicht zwanzig Jahre vergeudet.

Ich muß mich auch davon erstmal erholen. Australien hat eine beklemmende Rechtsdrehung genommen, Angst und Schrecken vor allem und jeden war das Rezept, mit dem hier ein Vierteljahrhundert fast ununterbrochen regiert wurde. Stop the unions! Stop the boats! Axe the tax!…

Zunächst setzte ich mich in eine Kneipe, um die Zeitung zu lesen. Am Samstag finde ich dort ein paar Seiten Buchbesprechungen, die mir vielleicht Anregungen geben könnten. Ich hatte vorher nur ein paar vage Ideen. Auch gehört das samstagliche Zeitungeslesen zu meiner Tradition, um ein wenig abzuschalten.

Auf der ersten Seite begann ein Artikel über Einwandererkinder aus dem Sudan, die inzwischen als junge Footyspieler in den unteren Ligen an die Türen der großen Klubs klopfen. Einige von ihnen haben es schon geschafft und spielen dort.

Es war nicht gerade überraschend, an diesem wintrigen Tag im Fernseher ein Footyspiel zu sehen, und am Nachbartisch zwei Demonfans mit Schals über das Spiel ihrer Mannschaft gegen meines zu reden, als auch einen bekannten ehemaligen Footyspieler von Geelong im Raum zu sehen. Die Fans tranken recht schnell recht viel, bevor sie mit der Straßenbahn zum Stadion fuhren. Ich glaube, es waren Vater und Sohn. Zum Abschied hieß es “Go Saints!” – “Go Demons!”

(Das war das Spiel der Saints gegen Melbourne Demons vor kurzem  im MCG, dem Melbourne Cricket Ground, ein Stadion, in das 100 000 Leute passen. Die Saints verloren gegen den Meister des letzten Jahres, der auch dieses Jahr Favorit und Tabellenführer ist.)

Die Mitre Tavern ist das älteste erhaltene Gebäude der Stadt. Erbaut in den frühen Vierzigern des 19.Jahrhunderts, ist es ein Haus, wie es auch in England stehen könnte. Das Dach ist schräg und steil, auch wenn es hier keinen Schnee gibt, der an den Schrägen herabgleiten müßte, und Fenster gibt es wenige.

In England liegt das unter anderem an der Window Tax, der Fenstersteuer, die unter William III. im Jahre 1696 eingeführt wurde. Eigentlich wollte er eine Einkommenssteuer. Es galt aber als schwerer Eingriff in die Privatsphäre, seine Einkünfte vor dem Staat offenzulegen zu müssen. So behalf sich der König damit, die Anzahl der Fenster der Häuser zählen zu lassen, da man daraus in etwa das Vermögen der Besitzer abschätzen könnte. Natürlich gab es auch damals Möglichkeiten, die Steuer zu umgehen und minimieren: das Zumauern von Fenstern und das Errichten von neuen Häusern mit so wenigen Fenstern wie möglich. Eine Einkommenssteuer gibt es in England erst seit 1842.

In der Mitre Tavern saßen unter anderem auch die Gründer einer Baumarktkette. Ursprünglich wollten sie sich die Mitre 2 nennen, aber Mitre 10 klang besser. Unter diesem Namen ist die Kette bis heute bekannt. “Mighty helpful – Mitre 10” hat jeder Australier mindestens tausend Mal im Fernsehen und im Radio gehört.

Auf dem Weg zum Buchladen kam ich an einer anderen Namensverrenkung vorbei. Als ich in Melbourne ankam, stand in der Innenstadt ein recht schönes Jugendstil imitierendes Einkaufsgebäude, Australia on Collins. Im Erdgeschoß des Hauses war ein Brunnen, an dem meine Tochter als Kleinkind öfter spielte, wenn wir dort essen gingen. Das Wasser im Brunnen fiel leider den Einschränkungen der Millenium Drought, der “Jahrtausend-Dürre”. die von 1997-2009 dauerte, zum Opfer, das Gebäude selbst einer Kaputtrenovierung vor ein paar Jahren.

https://www.adonline.id.au/buildings/australia-on-collins/ zeigt Fotos von vor, https://en.wikipedia.org/wiki/St._Collins_Lane nach der Renovierung.

Jetzt heißt es St.Collins Lane,”Sankt(?)-Collins-Gasse”. David Collins, ein Offizier, der mit der First Fleet, den ersten Gefangenenschiffen, nach Australien kam und später die zweite Strafkolonie von Van Diemens Land, heute Tasmanien, gründete, war ganz sicher kein Heiliger…

Zwischenmeldung aus Melbourne: Wahlen vorbei, wir gehen jetzt Sträucher pflanzen

Es ist noch nicht einmal eine Woche her, das in Australien das Bundesparlament gewählt wurde. Es fühlt sich wie eine Ewigkeit an.

Die letzte “Amtshandlung” des ausgehenden Prime Ministers, Scott Morrison, war, den Versuch eines Flüchtlingsbootes, nach Australien zu kommen vermelden lassen. Das stand ganz  im Gegensatz zu den Gepflogenheiten, die er selbst als Minister für Einwandererung eingeführt hatte. Seit damals wird über “Seeoperationen” nicht berichtet. Seitdem wissen wir praktisch nicht mehr, was unsere Grenztruppen so tun oder nicht tun. Im Angesichte eines Wahlverlustes war es Zeit, uns an die Boote zu erinnern und am Wahltag noch schnell Millionen SMS an Wähler zu schicken.

Geholfen hat’s denn doch nicht mehr. Sehr sehr viele eher konservative Wähler haben unabhängige Kandidaten gewählt, da sie von Prime Minister und liberaler Partei genug haben. Die Grünen, seit bald zwei Jahrzehnten drittgrößte politische Kraft im Lande, hat ebenfalls Gewinne zu verzeichnen.

Nun haben wir Anthony Albanese von der Labor Party als Prime Minister. Er ist mit der zukünftigen Außenministerin Penny Wong nach Tokio geflogen, hat die Führer der USA, Japans und Indiens getroffen, Penny Wong besucht Nachbarn in den pazifischen Inselstaaten, die Erde hat Australien weder verschlungen noch hatten wir einen Religions- oder Kulturkrieger vom Amt aus Canberra gehört.

Eine Woche Zivilisation, um es kurz zu beschreiben.

Meine Frau und ich gehen morgen mit der  ACF, der Australian Conservation Foundation, Sträucher pflanzen.

Ceremony – Moderne Kunst von Australiens Ureinwohnern in Canberra

Einen erinnerungswürdigen Nachmittag verbrachte ich in Canberra damit, durch die immer wieder gern besuchte Nationalgalerie Australiens, die NGA, zu schlendern.

Dieses Mal fand ich ein Triennale zeitgenössischer Kunst, geschaffen von Australiens Ureinwohnern, den Aborigines. Mit modernen Mitteln führen diese ihre zehntausende alte Kultur weiter, benutzen heutige Methoden, Farben und Stoffe, verbinden sie mit überlieferten und geben ihren Erzählungen einen neuen, oft frischen Eindruck. Die Ausstellung ist noch bis Ende Juli zu besichtigen.

Im See, im Lake Burley Griffin, schwamm ein  von Robert Fielding besprühtes Autowrack.

Wenn man etwas mehr als halbe Strecke auf dem Weg von Coober Pedy, der zumeist unterirdischen Stadt der Opalsucher, die ich mit meinem Sohn vor drei Jahren besuchte (https://www.petros.id.au/?p=198), nach Alice Springs, nach vielleicht vier Stunden bei Indulkana nach links abbiegt, hat man/frau 77 km Fahrt nach Mimili vor sich, eine Aboriginal-Siedlung von etwas mehr als 200 Leuten, wo Polizeiwache, eine Schule für etwa 60 Kinder, ein Schwimmbecken, ein Garten, in dem traditionelles bush food, Kräuter, Beeren, Wurzeln, die traditionell von den Ureinwohnern gegessen werden, und anderes zu finden sind. Das weiß ich aber nur, da ich ein wenig im Internet nachgeschaut habe. Um mir das selbst anzusehen, müßte ich um eine Genehmigung bitten, da das Land den Aboriginals, den Western Arrernte und Yankunytjatjara-Einwohnern, vorbehalten ist.

Man stelle sich rot-braune Erde vor, viel Sonne, Gestein und Berge, spärliches Grün, wenn man sich auf den Weg macht. Außerdem liegen links und rechts am Straßenrand verlassene Autos, die Robert Fielding mit der Spraydose bemalt, in Mustern und Ausdruck sich bei Überlieferungen seiner Vorfahren bedient. Das im See schwimmende “Holden on”, ein Wortspiel, der Holden ist ein lange in Australuen produziertes Auto, “Holdin’ on” heißt festhalten, dient auch als Werbung für die Galerie und die Ceremony-Ausstellung.

Im ersten Raum der Ausstellung ist eine Wand einem Kunstwerk von Penny Evans vorbehalten, gudhuwali BURN 2020-21.

Sie benutzt 280 in Lehm eingebettete angebrannte Überreste von lokalen Banksias, um an die heftigen Buschfeuer von 2015 bis 19 zu erinnern und auf die Bedeutung traditioneller Pflege der Ureinwohner für die Landschaft hinzuweisen. Das Ausbleiben des back burnings, des vorbeugenden kontrollierten Abbrennens, ist eines der Probleme (neben der in den letzten Jahren mehr und mehr sichtbaren Klimaveränderung), die die Feuer begünstigen und zu großflächigen zerstörenden Katastrophen auswachsen lassen.

Banksias wie auch andere einheimische Pflanzenarten bedürfen Feuer und/oder Rauch, um sich zu reproduzieren. Sie profitieren von vorbeugendem und daher regelmäßigen Abbrennen. Unregelmäßige und sich schnell wiederholende Brände sind Gift, da sich die jungen, aus der Asche entsprungenen Pflanzen noch nicht weit genug entwickelt haben, um “Eltern” für die nächste Generation zu sein.

Penny Evans lebt in Lismore. Ihr Zuhause ist das Land der Gamilaroi, das bewaldete Hinterland von Byron Bay an der nördlichen Küste New South Wales. Neben Waldbränden stellten kürzlich auch Fluten eine Gefahr da.  Im Februar brachten anhaltende Regen soviel Wasser in die Stadt, Heimat von ca. 40 000 Menschen, daß de untersten Stockwerke von Wohnhäusern und Geschäften komplett geflutet wurden.

Dylan River hingegen stammt aus den Northern Territories, von den Kaytete. Seine Großmutter, Freda Glynn, und deren Schwester wurden in den “Bungalow” an der Telegrafenstation am Nordrand der zentralaustralischen Stadt Alice Springs verfrachtet, in eine Institution für “half-casts”, die gemischtrassigen Kinder mit weißen und Aboriginal Eltern. Ihre Mutter Topsy verdingte sich in der Wäscherei des Bungalows, um bei ihren Kindern bleiben zu können.

Dylan River betrachte sich Bilder der Kinder, die in diese Institutionen verschleppt wurden, um von Familie und Zugang zu ihrer Kultur getrennt zu werden. Zumeist wurden sie vor den weißen Häusern aufgereiht. Bei genaueren Hinsehen war in ihren Augen reflektiert trotzdem etwas Umfeld zu sehen, die Landschaft und die Gebäude, in denen sie aufwuchsen.

Darrell Sibosado, von den Bard People, “Salzwassermenschen” auf der Dampier-Halbinsel nördlich von Broome in Westaustralien, fühlt sich seiner Kultur und Vorfahren verbunden, wenn er Seemuscheln, riji, in den Händen hält.

Ich habe im Norden Westaustraliens an der Eighy Miles Beach einen Zwischenstop eingelegt, als ich 1997 als Tourist das Land bereiste. Vom Bus, der alle zwei Tage hier den Highway entlang fuhr, wurde ich an einem Abzweig abgesetzt und hatte einen zweistündigen Marsch vor mir, unter strahlendem Blau, auf roter Erde, bewachsenen mit meterhohen bleichgrünen Sträuchern, auf einer Landstraße, an dessen Ende ein kleiner Zeltplatz zu finden war. Dahinter war ein helles türkisfarbenes makellos klares Meer von unglaublicher Schönheit.

Zurück zu den Muscheln. Diese sind die Schuppen der Aaalingoon, der Regenbogenschlange, die auf dem Ozean zur Ruhe kommt. In diese Muschelschalen werden traditionell Muster eingeritzt, die Darrell Sibosado nun stattdessen neonstrahlend  an die Wand malt. Wie auf den Schalen sind drei Symbole zu sehen: Gulgan, die Fischreuse, Morr, der Weg, und Dyimmorgamol, der Krieger.  Sie stehen für den Ort, an dem  man ist,  der Tätigkeit, was man tut, und der Stellung, sein Platz und Status in der Gruppe. “Narrgidj Morr” ist der Richtige Weg, dem zu folgen ist..

Diese Symbole sind mit Zeremonien assoziiert, beschreiben aber nicht diese selbst, sondern den Weg zu ihr. Dieser ist Teil des Ganzen und reflektiert Verwandtschaft und Pflichten zwischen den Mitgliedern der Gruppe.

Mantua Nangala von den Pintupi ist in der Gibson-Wüste zuhause. Halben Weges zwischen der eben genannten nördlichen westaustralischen Küste und Alice Spring liegt Kiwirrkura, eine kleine Siedlung mit weniger als 200 Einwohnern. Sie zählt zu den am weitesten isolierten Orten Australiens.

Ihre vom weiten abstrakt und nahezu monochromatisch ausschauenden Bilder sind geduldig Punkt für Punkt gemalt. Mantua Nangalas Bilder sind mit traditionellen Wanderungen von Frauen durch die Wüste verbunden und erinnern an das Flirren der heißen Luft über den sich im Wind ständig umformenden Dünen in der Wüste.

Am Ende meines Ausstellungsbesuchers bin ich noch über ein Kunstwertk “gestolpert”, welches nicht von einer Aborigine, sondern einer Melbourner Künstlerin geschaffen wurde, Janenne Eaton.

Der Anblick läßt mich zumindest vermuten, daß bei der Idee dieses Werkes aus dem Jahre 1993 Kunst der Ureinwohner Pate gestanden hat.

Beim genauen Hinsehen entpuppt sich, daß es aus tausenden elektrischen Widerständen besteht.

So heißt es denn auch: Resistance – Widerstand.