Ceremony – Moderne Kunst von Australiens Ureinwohnern in Canberra

Einen erinnerungswürdigen Nachmittag verbrachte ich in Canberra damit, durch die immer wieder gern besuchte Nationalgalerie Australiens, die NGA, zu schlendern.

Dieses Mal fand ich ein Triennale zeitgenössischer Kunst, geschaffen von Australiens Ureinwohnern, den Aborigines. Mit modernen Mitteln führen diese ihre zehntausende alte Kultur weiter, benutzen heutige Methoden, Farben und Stoffe, verbinden sie mit überlieferten und geben ihren Erzählungen einen neuen, oft frischen Eindruck. Die Ausstellung ist noch bis Ende Juli zu besichtigen.

Im See, im Lake Burley Griffin, schwamm ein  von Robert Fielding besprühtes Autowrack.

Wenn man etwas mehr als halbe Strecke auf dem Weg von Coober Pedy, der zumeist unterirdischen Stadt der Opalsucher, die ich mit meinem Sohn vor drei Jahren besuchte (https://www.petros.id.au/?p=198), nach Alice Springs, nach vielleicht vier Stunden bei Indulkana nach links abbiegt, hat man/frau 77 km Fahrt nach Mimili vor sich, eine Aboriginal-Siedlung von etwas mehr als 200 Leuten, wo Polizeiwache, eine Schule für etwa 60 Kinder, ein Schwimmbecken, ein Garten, in dem traditionelles bush food, Kräuter, Beeren, Wurzeln, die traditionell von den Ureinwohnern gegessen werden, und anderes zu finden sind. Das weiß ich aber nur, da ich ein wenig im Internet nachgeschaut habe. Um mir das selbst anzusehen, müßte ich um eine Genehmigung bitten, da das Land den Aboriginals, den Western Arrernte und Yankunytjatjara-Einwohnern, vorbehalten ist.

Man stelle sich rot-braune Erde vor, viel Sonne, Gestein und Berge, spärliches Grün, wenn man sich auf den Weg macht. Außerdem liegen links und rechts am Straßenrand verlassene Autos, die Robert Fielding mit der Spraydose bemalt, in Mustern und Ausdruck sich bei Überlieferungen seiner Vorfahren bedient. Das im See schwimmende “Holden on”, ein Wortspiel, der Holden ist ein lange in Australuen produziertes Auto, “Holdin’ on” heißt festhalten, dient auch als Werbung für die Galerie und die Ceremony-Ausstellung.

Im ersten Raum der Ausstellung ist eine Wand einem Kunstwerk von Penny Evans vorbehalten, gudhuwali BURN 2020-21.

Sie benutzt 280 in Lehm eingebettete angebrannte Überreste von lokalen Banksias, um an die heftigen Buschfeuer von 2015 bis 19 zu erinnern und auf die Bedeutung traditioneller Pflege der Ureinwohner für die Landschaft hinzuweisen. Das Ausbleiben des back burnings, des vorbeugenden kontrollierten Abbrennens, ist eines der Probleme (neben der in den letzten Jahren mehr und mehr sichtbaren Klimaveränderung), die die Feuer begünstigen und zu großflächigen zerstörenden Katastrophen auswachsen lassen.

Banksias wie auch andere einheimische Pflanzenarten bedürfen Feuer und/oder Rauch, um sich zu reproduzieren. Sie profitieren von vorbeugendem und daher regelmäßigen Abbrennen. Unregelmäßige und sich schnell wiederholende Brände sind Gift, da sich die jungen, aus der Asche entsprungenen Pflanzen noch nicht weit genug entwickelt haben, um “Eltern” für die nächste Generation zu sein.

Penny Evans lebt in Lismore. Ihr Zuhause ist das Land der Gamilaroi, das bewaldete Hinterland von Byron Bay an der nördlichen Küste New South Wales. Neben Waldbränden stellten kürzlich auch Fluten eine Gefahr da.  Im Februar brachten anhaltende Regen soviel Wasser in die Stadt, Heimat von ca. 40 000 Menschen, daß de untersten Stockwerke von Wohnhäusern und Geschäften komplett geflutet wurden.

Dylan River hingegen stammt aus den Northern Territories, von den Kaytete. Seine Großmutter, Freda Glynn, und deren Schwester wurden in den “Bungalow” an der Telegrafenstation am Nordrand der zentralaustralischen Stadt Alice Springs verfrachtet, in eine Institution für “half-casts”, die gemischtrassigen Kinder mit weißen und Aboriginal Eltern. Ihre Mutter Topsy verdingte sich in der Wäscherei des Bungalows, um bei ihren Kindern bleiben zu können.

Dylan River betrachte sich Bilder der Kinder, die in diese Institutionen verschleppt wurden, um von Familie und Zugang zu ihrer Kultur getrennt zu werden. Zumeist wurden sie vor den weißen Häusern aufgereiht. Bei genaueren Hinsehen war in ihren Augen reflektiert trotzdem etwas Umfeld zu sehen, die Landschaft und die Gebäude, in denen sie aufwuchsen.

Darrell Sibosado, von den Bard People, “Salzwassermenschen” auf der Dampier-Halbinsel nördlich von Broome in Westaustralien, fühlt sich seiner Kultur und Vorfahren verbunden, wenn er Seemuscheln, riji, in den Händen hält.

Ich habe im Norden Westaustraliens an der Eighy Miles Beach einen Zwischenstop eingelegt, als ich 1997 als Tourist das Land bereiste. Vom Bus, der alle zwei Tage hier den Highway entlang fuhr, wurde ich an einem Abzweig abgesetzt und hatte einen zweistündigen Marsch vor mir, unter strahlendem Blau, auf roter Erde, bewachsenen mit meterhohen bleichgrünen Sträuchern, auf einer Landstraße, an dessen Ende ein kleiner Zeltplatz zu finden war. Dahinter war ein helles türkisfarbenes makellos klares Meer von unglaublicher Schönheit.

Zurück zu den Muscheln. Diese sind die Schuppen der Aaalingoon, der Regenbogenschlange, die auf dem Ozean zur Ruhe kommt. In diese Muschelschalen werden traditionell Muster eingeritzt, die Darrell Sibosado nun stattdessen neonstrahlend  an die Wand malt. Wie auf den Schalen sind drei Symbole zu sehen: Gulgan, die Fischreuse, Morr, der Weg, und Dyimmorgamol, der Krieger.  Sie stehen für den Ort, an dem  man ist,  der Tätigkeit, was man tut, und der Stellung, sein Platz und Status in der Gruppe. “Narrgidj Morr” ist der Richtige Weg, dem zu folgen ist..

Diese Symbole sind mit Zeremonien assoziiert, beschreiben aber nicht diese selbst, sondern den Weg zu ihr. Dieser ist Teil des Ganzen und reflektiert Verwandtschaft und Pflichten zwischen den Mitgliedern der Gruppe.

Mantua Nangala von den Pintupi ist in der Gibson-Wüste zuhause. Halben Weges zwischen der eben genannten nördlichen westaustralischen Küste und Alice Spring liegt Kiwirrkura, eine kleine Siedlung mit weniger als 200 Einwohnern. Sie zählt zu den am weitesten isolierten Orten Australiens.

Ihre vom weiten abstrakt und nahezu monochromatisch ausschauenden Bilder sind geduldig Punkt für Punkt gemalt. Mantua Nangalas Bilder sind mit traditionellen Wanderungen von Frauen durch die Wüste verbunden und erinnern an das Flirren der heißen Luft über den sich im Wind ständig umformenden Dünen in der Wüste.

Am Ende meines Ausstellungsbesuchers bin ich noch über ein Kunstwertk “gestolpert”, welches nicht von einer Aborigine, sondern einer Melbourner Künstlerin geschaffen wurde, Janenne Eaton.

Der Anblick läßt mich zumindest vermuten, daß bei der Idee dieses Werkes aus dem Jahre 1993 Kunst der Ureinwohner Pate gestanden hat.

Beim genauen Hinsehen entpuppt sich, daß es aus tausenden elektrischen Widerständen besteht.

So heißt es denn auch: Resistance – Widerstand.

The Barassi Line

Ich habe ja versprochen, ein wenig über die letzten Wochen zu schreiben. Vorher müssen wir aber noch eine Bundestagswahl oder das australische Pendant, die Wahl zum Bundesparlament, hinter uns bringen. Langsam sehne ich mich nach der Volkskammer zurück. Da gab es wenigstens keine Wahlkampagnie, es war einfach nicht nötig zu beweisen, daß die Welt eine Scheibe ist. Dafür sind hier Murdoch und andere Milliardäre zuständig, die ganze Bagage, die für sie schreibt und im Fernsehen auftritt. Ich habe gestern, auf der Suche nach Max Goldt, im Internet eine Meinung gefunden, daß die BILD-Zeitung die AfD ermöglicht hat. Hier ermöglicht das eine “konservative” Regierung, wobei es mit dem Konservieren nicht so weit her ist, wenn man von der Konservierung der Herrschaft absieht.

In Melbourne wohnend, ist das doppelt bitter.  John Howard, Tony Abbott, Christiansen, Bob Katter, Palmer, Craig Kelly, Scott Morrison – die Mehrzahl der Politiker, die unser Land vergiften oder zum Gespött preisgeben, kommt von weiter im Norden, von der anderen Seite der Barassi Line, der Linie, die kulturell das land in zwei Sportarten und weiter in zwei Kulturen unterteilt.

Ian Tucker, ein Melbourner Akademiker und Richmond-Fan (Richmond, der Footy-Klub), gab von 1966 bis 1978 Vorlesungen, um Ron Barassi senior zu ehren, einen  Footy-Spieler, der bei Tobruk, in Nordafrika, im Zweiten Weltkrieg sein Leben ließ. Seine Barassi Line zerteilt das Land. Im Nordosten Australiens, an der Küste Queenslands und New South Wales, herrschte – und herrscht – Rugby, im Rest des Landes wird überwiegend Footy, Australian Rules Football gespielt.

Ein wenig reflektiert das auch gesellschaftliche Unterschiede. Sydney, eine zunächst als Strafkolonie noch im 18.Jahrhundert gegründete Stadt, war eine sehr konservative, dem englischen Klassensystem nachgeformte Gesellschaft, in der Rugby, das Spiel der Gentlemen, der Aristokraten, seinen Platz fand. Melbourne wurde 50 Jahre später gegründet, im Viktorianischen Zeitalter der Aufklärung. Schon früh in seiner Stadtgeschichte setzte das Goldfieber ein, welches Melbourne wachsen ließ und Wohlstand schaffte. Hier fand schnell ein lokal geschaffenes Spiel, Australian Rules Football, Anklang.

Der Name Barassi Line selbst ist ein Wortspiel auf die Brisbane Line. 1942 wurde der (sozialdemokratischen) Labor-Regierung der Vorschlag gemacht, im Falle einer japanischen Invasion, die durchaus möglich erschien, die industrialisierten Landesteile von Brisbane weiter südlich zu verteidigen, und das weite Land nördlich den invasoren zu überlassen. Dieser Vorschlag wurde von John Curtin und seiner Regierung verworfen. Ein Minister, Eddie Ward, nahm dies zum Anlaß, die vorherige, konservative, Regierung unter Robert Menzies dieses Plans zu beschuldigen. Robert Menzies bestritt das. Die Regierung ließ daraufhin eine Untersuchung führen, die überprüfen sollte, ob da etwas dran sein. Es konnten keine Dokumente gefunden werden, die den Vorwurf erhärteten, nichtsdestotrotz trug die Untersuchung nicht zum Ruf von Menzies bei und half Labor und John Curtin, ihn bei der nächsten Wahl zu besiegen.

Auf unserer Osterreise, die uns auch durch Canberra, die australische Hauptstadt, führte, sah ich John Curtin und seinen Weggefährten Ben Chifley.

Herbstliche Feiertage

Ich schreibe diese Zeilen an einem späten Sonntagnachmittag im Melbourner Herbst. Die Katze sitzt neben dem Monitor und schaut ab und an zu mir und ab und an nach draußen, wo gleich die Sonne untergeht. Das Radio bringt Musik aus Timor Leste, East Timor. Nächste Woche wird es in St.Kilda ein Konzert geben, um den zwanzigsten Jahrestag der Unabhängigkeit des Landes zu feiern. Danach wird auf das Konstantin-Projekt hingewiesen. Konstantin ist der lauteste Hahn im Dorf. Wie aber kommt es, daß es überall in Europa Hühner gibt, wo die ursprüngliche Heimat wahrscheinlich in Südostasien zu finden ist? Darauf möchte dieses Projekt musikalisch Auskunft geben. Diesen Monat wird es in der Mission für Seefahrer zwei Aufführungen geben. Dabei wird es wahrscheinlich um mehr als nur um Migration von Hühnern gehen. Eine Show wird auch via Streaming zu sehen sein, wer denn sehr neugierig ist: https://whatson.melbourne.vic.gov.au/things-to-do/konstantin-grandmothers-tongue

Das ist nahe Zukunft in unserer Stadt, die dem Winter entgegensteuert. Noch beschert sie uns sonnige und zumeist noch angenehm warme Tage. Wir haben manchmal am Morgen unseren Gasheizer im Eßzimmer laufen und für die Schlafzimmer die mobilen elektrischen Plattenheizer programmiert, die aber noch nicht auf Hochtouren laufen.  Der Herbst war dieses Jahr zumindest recht erträglich. Er beschert uns auch drei Feiertage. Der erste ist der Labour Day, der Tag der Arbeit, im März, der letzte der ANZAC Day Ende April. Dazwischen liegt das Osterfest, welches wir benutzt haben, um uns auf eine zweiwöchige Reise nach Norden zu begeben, um eine befreundete Familie zu besuchen und zeltend ein wenig mehr vom Land zu sehen. Davon möchte ich in den nächsten Tagen berichten.

Im Hier und Jetzt höre ich gerade wirklich wunderschöne Musik aus South Australia. Von hier kommt die Band Yellow Blue Bus. Der Name weist auf die musikalischen Wurzeln hin – die inzwischen leider durch einen Krieg weitbekannten Farben der ukrainschen Nationalflage. In den Liedern der Band, in der drei Musiker mit ukrainschen Familienwurzeln spielen, ist das ukrainische Instrument Bandura  zu hören, welches mit mehr als 60 Saiten bespannt ist. Das Lied, welches ich gerade hörte, heißt Trishna, und ist hier zu finden: https://www.youtube.com/watch?v=lXvf-qGMzok

Nachbarvölker in Melbourne

Ich habe mit meiner Frau am Sonntagnachmittag Springvale besucht, ein Stück Vietnam in Melbourne. Nach dem Sieg der Kommunisten aus dem Norden, besiegelt durch den Fall Saigons 1975, flohen Abertausende von Vietnamen übers Meer. Australien unter der Regierung von Malcolm Fraser nahm einige Zehntausende von ihnen auf, und so etablierten sich hier vietnamesische Gemeinschaften, besonders konzentriert in einigen Stadtteilen wie Footscray, North Richmond und Springvale. Hier entstanden Märkte, Geschäfte und Gaststätten, die manche Straßenzüge eher wie Saigon als denn Melbourne aussehen lassen. Von dort aus eroberten Pho, die vietnamesische Nudelsuppe, und Banh mis die Stadt, Brötchen mit Füllung nach vietnamesischer  Art – die Brötchen kamen ihrerseits aus Frankreich nach Vietnam. Sie sind genauso wenig zu übersehen wie Döner in Berlin.

Meine Frau stammt aus dem Süden Chinas, nicht sehr weit von der Grenze zu Vietnam entfernt. Wie überall teilen Grenzen Länder, aber nicht Gebräuche und Geschmäcker. Selbst Sprache und Stämme werden von diesen Grenzen durchzogen und nicht getrennt. Meine Frau hat gute Freundinnen aus China, die ethnisch Vietnamesinnen sind und zuhause vietnamesisch reden, genauso gibt es Chinesen in Vietnam wie anderen Ländern Südostasien, die eine oder mehrere chinesische Sprachen sprechen. Meine Kollegen in Malaysia wechseln je nach Gesellschaft zwischen kantonesisch, Hokkien, Mandarin, Malay und englisch.

Hier in Melbourne Anfang des 21.Jahrhunderts spielen Grenzen glücklicherweise keine all zu große Rolle. Wenn auch ncht immer und überall Friede Freude Eierkuchen herrscht, geht Mann und Frau doch zu allergrößten Teilen tolerant miteinander um.

Die Küche, die Gaststätten und Geschäfte, tragen ihren Teil dazu bei. So haben sich in Melbourne Griechen nach dem zweiten Weltkrieg etabliert, und als einige Jahre später Türken hinzukamen, fanden sie die griechischen Fleischer und Gewürze und Restaurants, die Ähnliches anboten als sie von zuhause kannten. Man geht lieber dort einkaufen, als sich mit ihnen zu streiten und die Balkankriege fortzusetzen. Bei den Kindern ebbten die “erebten” Differenzen weiter ab. Ein befreundetes Ehepaar hat Eltern aus Griechenland (er) und Slowenien (sie), die ihrer besten Freundin sind aus (nun offiziell Nord-)Mazedonien etc. pp. Wenn ich Lust auf Rollmops oder Wurstwaren habe, die mich an Deutschland erinnern, kaufe ich die bei einer Polin am South Melbourne Market. Gute “europäische” Küche finde ich in St.Kilda East, Balaclava oder Elsternwick, wohin es um den Zweiten Weltkrieg herum viele Osteuropäer verschlagen hat, eine Gegend, die bis heute auch durch jüdische religiöse Gemeinschaften, Geschäfte und Gepflogenheiten geprägt sind.

Ich habe mich, auf den Beginn eines Films in Elsternwick wartend, spontan zum Abendessen in einem russischen Restaurant, dem Nevski, entschlossen, und dort Ente mit Rotkohl gegessen als auch zum Ende einen Wodka getrunken, einen Stolichnaya, dabei an meinen Vater gedacht, mit dem ich am liebsten angestoßen hätte (er mag diesen Wodka sehr), und dabei mich nicht im geringsten dsaran gestört, daß es ein russisches Restaurant ist. Viele Auswanderer haben oft von der Politik in ihrer alten Heimat genug, oder mußten gar davor fliehen. Ich habe besseres zu tun, als mich mit ihnen anzulegen. Wenn mir Putin über den Weg gelaufen wäre, das wäre was anderes gewesen.

Übrigens: Was ist der Unterschied zwischen Putin und Gott?

Gott hält sich nicht für Putin.

Warnie

März 2022 in Australien. Die Pandemie ist auf Platz 3 der Aufmarksamkeit gerutscht. Die Fluten weiter nördlich halten größere Teile der Bevölkerung an der Ostküste in Atem, inklusive Sydney und Brisbane, und dann gibt es da auch noch einen Krieg in der Ukraine. Pandemie? Ja, gibt es auch noch.

Und plötzlich ist Thema No. 1 etwas ganz anderes.

Ich bekomme eine Nachricht von einem aus Sri Lanka stammenden Freund: Rip – rest in peace, Ruhe in Frieden – mit einem Foto, auf dem zwei Männer zu sehen sind, von denen einer Shane Warne ist, der berühmteste aller australischen Cricketspieler seit Don Bradman, dessen Leben und Werk und seine Siege in Vindaloo (sorry, hier zitiere ich Bill Bryson, wie er Cricket beschreibt) zum australischen Staatsbürgerschaftstest gehören. Eine weitere Nachricht klärt mich auf: es ist tatsächlich Warnie, der gestorben ist, im Alter von nur 52 Jahren, an Herzversagen.

Cricket gehört in Australien zum Leben vieler Menschen. Das sind sowohl die Australien prägenden Einwanderer aus Großbritannien, die über Generationen hinweg dieses Spiel pflegen, als auch Migranten aus Indien, Pakistan und Sri Lanka. Für Inder scheint Cricket so etwas wie eine Nationalreligion zu sein. Die indische Cricket-Liga ist die bestbezahlende Liga der Welt, das Äquivalent zur englischen im Fußball. In Melbournes Sommer kann man an jedem Wochenende im Park zumeist in weiß gekleidete Menschen sehen, die Cricket spielen.

Ich habe vor kurzem mein erstes Cricketspiel erlebt, im MCG, dem Melbourner Cricket Ground. Es war das küzeste aller Cricketformate, T20, das nur 20 overs (20×6 Bälle), etwa 2 1/2 Stunden dauert, etwa so lange wie ein Footyspiel. Es war ein Länderspiel gegen Sri Lanka, und ich kam deswegen zu dem Besuch, da der erwähnte Freund aus dem Lande mit seiner Tochter in Covidquarantäne feststeckte. Es war nicht so langweilig wie befürchtet, ich fand es ganz im Gegenteil interessant – und ich habe zumindest die Grundregeln verstanden. Das Stadion war nur mäßig besucht, aber die Fans aus Sri Lanka haben ihr Team kräftig angefeuert, auch wenn sie am Ende nicht unerwartet unterlagen.

Ich saß vor ein paar Monaten in Brighton, einem Melbourner Stadtteil, in einem Pub, in dem mir von Fotos bekannte Cricketspieler verkehrten. Auf den Fernsehern an der Wand war Cricket zu sehen, und ab und an wurde ein gefallener Stumpen, ein Wicket, gefeiert. Ansonsten wurde viel geredet und getrunken und Frauen umarmt und mehr geredet, getrunken und umarmt.

Das hat auch Shane Warne sehr gern getan, wie Zeitungen und Fernsehen gern berichteten. Er lebte in Brighton, und diese mit Kreide geschriebenen Spontanwidmung fand ich dort dieses Wochenende.

Von seinen Erfolgen beim Cricket, seinen Skandalen und seinem Charme wurde auch heute viel geredet, die Tageszeitung widmete ihm mehr zehn Seiten. Es wird ein Staatsbegräbnis für ihn geben.

Warnie ist tot. Eine Legende hat Melbourne, Australien und die Cricketwelt verlassen.

(Foto: Tourism Victoria, unter CC 2.0 Lizenz https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.en)

Erinnerungen an eine Reise durch Europas Osten – die Ukraine

Wie es der Zufall so will, habe ich dieser Tage gerade Marina Lewyckas Short History of Tractors in Ukrainian (auf deutsch: Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch) in der Hand gehabt, als sich die Lage in der Ukraine extrem verschlechterte, bis es dann zum Krieg kam. Ich schwöre, daß zwischen meiner Lektüre und dem Krieg kein Zusammenhang besteht. Was Putin dieser Tage liest, weiß ich nicht, ich vermute aber, nicht das gleiche Buch.

Dieses Buch enthält unter anderem einige Ausflüge in die Geschichte der Ukraine des 20. Jahrhunderts, und man kann wohl sagen, daß dieses Land, ähnlich Polen eingequetscht zwischen Deutschland und Rußland und zunächst auch der Österreich-Ungarischen Doppelmonarchie, oft nicht unbedingt auf der Sonnenseite gestanden hat.

Nichtsdestotrotz ist das Buch voller Humor. Das braucht man wohl auch.

Ich selbst habe, mit meiner damaligen Partnerin, das Land, wie auch Rußland, im Jahre 1998 bereist.

Es war nicht das Ziel unserer Reise, das war Usbekistan. Wir wohnten einer ungarischen Hochzeit in Budapest bei, außer den Namen der Vermählten habe ich auf dem Standesamt nichts verstanden. Die Feier danach war fantastisch. Den Tag darauf machten wir uns im Zug auf den Weg zur ukrainischen Grenze. Wir hatten ein Visum für Usbekistan, welches man nur per Einladung oder durch ein organisiertes Reiseunternehmen bekommen konnte. Ich hatte es von meiner russischen Verkäuferin im Zeitungsladen in Berlin bekommen, was die ohnehin nicht gerade kleine Gebühr verdoppelte, auf fast 200 Mark, wenn ich mich recht erinnere.

Soweit wir wußten, galt dieses Visum duch einen Vertrag von Staaten der ehemaligen Sowjetunion, der GUS (“Gemeinschaft unabhängiger Staaten”), als ein Transitvisum für alle anderen Länder, um sie in 72 Stunden (je Land) zu durchqueren.

An der Grenze wurde ich von uniformierten ukrainischen Grenzbeamten zur Leibesvisitation aus dem Zug geholt, was mich etwas nervös machte, da der Zug mit meiner Freundin über den Bahnhof hin- und herrangierte, unter anderem, um neue Untergestelle zu bekommen.

In der Sowjetunion und ihrer Nachfolgestaaten werden die Gleise in Breitspur verlegt, breiter als die in den meisten Teilen Europas gängigen 1435 Millimeter. Im Osten sind es 1520 mm, 5 Fuß, wie von einem amerikanischen Bahningenieur, George Washington Whistler, 1843 vorgeschlagen, als die Bahn zwischen Moskau und Petersburg gebaut wurde. Das wäre billiger, und mit dem europäischen 1435 mm-Netz war keine Verbindung geplant. So ähnlich sieht es in Australien aus, unser Nachbarstaat New South Wales hat eine andere Spurbreite als unser Victoria.

Kurz danach hatte ich mehr Grund, nervös zu sein. Die Ukraine hatte sich von dem Vertrag, die gegenseitige Anerkennung von Visa betreffend, gelöst, wir hatten kein gültiges Transitvisum.

So kam meine Partnerin dazu, und die Nacht hindurch bis früh morgens saßen wir in der Gesellschaft eines jungen ukrainischen Grenzbeamten im Transitraum. Er hatte seine Kalaschnikow, die AK-47, dabei und versuchte wach zu bleiben, in dem er das Gewehr ab und an zerlegte, reinigte und wieder zusammenfügte. Ich hatte übrigens versucht, ihn zum “Übersehen” unserer Visaprobleme mit einigen US-Dollars zu überreden, das ging aber nicht, wie er mir zu verstehen gab. Seine Vorgesetzten würden das mitkriegen, dann wäre er in Nöten. Er schien uns aber den Bestechungsversuch nicht weiter übelzunehmen und war sehr freundlich.

Wir machten uns im Morgenzug auf den Weg nach Debrecen, wo es kein ukrainisches Konsulat gab, entgegen dem Rat, den wir an der Grenze bekommen hatten, und mußten bis Budapest zurück. Dort telefonierten wir mit der Botschaft. Ja, das Visum könnten wir bekommen, aber es würde eine Woche dauern. Morgen, sofort? Unmöglich, aber wir sollen kommen, von 9 bis 12 wäre die Botschaft geöffnet.

Wir guckten uns die Karte an und dachten an Alternativen, die Ukraine umgehend. Es gab damals noch keine Smartphones, um nachzugucken, und um ans Internet zu gelangen, ging man in ein Internetcafe. Am Morgen gingen wir zur Botschaft und warteten. 10 Uhr. Und warteten. 11 Uhr. Und warteten. Eine Frau wurde wütend und beschimpfte den uniformierten Türsteher, irgendwas mit “Stalin” in ihrem Redeschwall. Weiter warten. Schließlich wurden wir in die Botschaft hineingebeten. Zwei mal 50 Dollar später hatten wir ein Visum.

Kurz darauf saßen wir wieder im Zug nach Kiew. Der Schaffner, der leicht alkoholisch angesäuselt war, zweifelte die Gültigkeit unserer Fahrscheine an, da wir aber keine Anstalten machten, uns auf irgendeinen Kuhhandel einzulassen (“Ja ne panemaju”, ich verstehe nicht), gab er auf und wir erreichten schließlich Kiew.  Angekommen, lief uns eine junge Frau über den Weg, die uns warnte. Sie wäre gerade ein paar Tage zuvor auf dem Bahnhof ausgeraubt worden, man hätte ihr ein Messer an die Kehle gehalten. Was wir hier nur wollten, sie hätte einen deutschen Freund und wollte nichts wie weg. Sie kenne aber die Leute von der Bahnhofsmission und sie würde uns dorthin bringen, wir könnten da übernachten.

Die Bahnhofsmission hatte einen leeren Saal voller Kinderbetten, die wir zusammenschoben, um uns ausstrecken zu können. Unser Gepäck war in einem Eisenkäfig, ob das gut oder schlecht war, konnte ich nicht beurteilen. Wir schauten auf den Bahnhof hinunter, wo große schwarze Ungetüme von Dampfloks Personen- und Güterzüge hinter sich herzogen, und schliefen schließlich ein.

Am Morgen bedankten wir uns bei den Frauen von der Mission und gingen in die Stadt. Straßenhändler boten Schuhe und Spielzeug an. Wir steuerten auf das vermeintlich beste Hotel zu, um Geld zu tauschen und eine Karte von der Innenstadt zu bekommen. Der Portier war leider schon betrunken und verstand nur Bahnhof,  aber irgendwie bekamen wir was wir wollten und gingen in die Innenstadt, bewunderten den Krestschatik mt seinen Stalinbauten und das Staatstheater nahebei und die gutgekleideten hübschen Frauen. Es gab Tuchläden, in denen sich die modebewußte Jugend schöne Stoffe aussuchte. Ob sie selbst nähten oder aber nähen ließen, kann ich leider nicht sagen.

Später fuhren wir nach Charkow, der zweitgrößten Stadt der Ukraine. Bauleute pfiffen von hoch oben meiner Freundin nach, auf dem Markt hörte man, wie überall auf unserer Reise 1998, Modern Talking. Meine Freundin hatte fürs erste genug Abenteuer. Entgegen sonstiger Gepflogenheiten steuerte sie uns in den McDomalds hinein, und von dort betrachteten wir das Marktgeschehen, als auch die quasi-militärische Rangfolge der Angestellten bei Maccas. Die in grünen  Uniformen machten sauber, die in blau überwachten, in rot bedienten an der Kasse usw. usf. – eine echte postkommunistische Klassengesellschaft.

Weite Blicke

Auf dem Weg vom Einkauf nach Hause radelte ich eine dieser langen Straßen entlang, die es in Melbourne wohl tausende Male gibt. Oft sind die ein- und zweistöckigen Häuser hinter Bäumen “versteckt”, die unsere Straßen säumen. Das können einheimische Eukalypthen sein, Bäume aus der ‘Alten Welt”, wie .zb. Platanen, Ahorn oder Kastanien, oder farbenfroh blühende Zierbäume aus aller Welt, wie z.B. Jacarandas aus Lateinamerika oder Myrtle-Bäume.

Die geraden Straßen wurden oft vor langer Zeit angelegt. Seitdem die Stadt vom Auto beherrscht wird, ist der Wunsch gewachsen, Ruhe vor dem Haus zu haben und den Verkehr auf großen Schnellstraßen zu kanalisieren. Daher sind jahrzehntelang sehr viele gewundene Straßen entstanden, die, in der Neuzeit zusätzlich mit speed humps, Huckeln, an denen man abbremsen muß, versehen, den Durchgangsverkehr abhalten sollen.

Für den Fahrradfahrer sind solche Straßen natürlich schöner. Ich bevorzuge sie und ziehe sie den auf die Fahrbahn gemalten Fahrradwegen an Schnellstraßen vor. Diese sind ja manchmal eher potentielle Todesstreifen, auf denen man sein drittes Auge auf die an der Straße parkenden Autos wirft und versucht, frühmöglichst die Autohalter zu erspähen, bevor sie die Tür öffnen, in die man dann hineinradeln darf, schnell abbremsen und so über den Lenker “abzusteigen” oder einen Schwenk zu versuchen, der, wenn man das nicht vorausgeahnt hat, einen in die Fahrspur eines vorbeifahrenden Lasters geraten läßt.

In den alten quadratisch-praktischen Vororten gibt es oft zwischen den größeren Straßen noch die dunny lanes, “Klogassen”. Im Garten stand ja früher oft das Plumpsklo, und das mußte ab und an geleert werden. Zu diesem Zwecke hat der dunny man  nachts den Zugang durch die Hintertür bekommen.

Dies sind die Gassen, mit denen ich die ersten Schuljahre meiner Kinder zur Schule geradelt bin, bis diese sich allein auf den Weg gemacht haben. Bis heute radele ich oft durch solche kleinen Straßen, die heute oft Garagenstraßen geworden sind.

Generell kann man sehr gut durch Melbourne radeln, durch solche Straßen oder aber an Flüssen und Bächen entlang, durch Parks und anderes. Melbourne ist nicht zu hügelig, obwohl man doch ab und an merkt, daß Mount Martha oder Mount Waverley doch etwas mit der Landschaft und Anstiegen (und rasantem Runterradeln) zu tun haben. Wer seine Wege zumeist mit dem Auto erledigt, hat wahrscheinlich weniger Landschaft denn Linien und Gitter im Kopf, wenn er an Melbourne denkt.

Ich denke übrigens, daß Laufen und Fahrradfahren als alltägliche Fortbewegung gut geeignet sind, um sich mit seine Umwelt und seinen Mitmenschen auseinanderzusetzen. Der Autofahrer gleitet ja doch eher einer Insel auf vier Rädern durch die Gegend, und statt Mitmenschen zu begegnen, lassen sie sich vielleicht durchs Radio unterhalten, in dem oft sogenanntes Talkback Radio läuft, wo sich frustrierte Menschen über Gott und die Welt beschweren. (Ich mach das stattdessen hier;-)  Wer das als “Volkes Stimme” wahrnimmt, wird ganz sicher ein Pessimist, was die Menschheit angeht, und davon überzeugt, daß die Anderen alle in Horden an der nächsten Straßenecke nur darauf warten, ihn des Autos zu berauben, seine Frau zu vergewaltigen und die Kinder zu ertränken.

Die Fahrradfahrer sind dabei so ziemlich die Schlimmsten. Mir fällt gerade eine Geschichte vom Anfang der Pandemie wieder ein. Zu Beginn der Pandemie wurden Masken drinnen und draußen Pflicht. Ausgenommen waren davon Sporttreibende, wie Läufer und Radler. Es gab einige praktische Witze, wie man z.B. einer Strafe entkommt: “Just do a runner”, was im Jargon bedeutet, daß man davonläuft, wörtlich aber, zum Läufer zu werden.

Mary aus Northcote veranlaßte diese Regelung zu folgendem Leserbrief:

“Vor kurzem hielt ich mit dem Auto an der Ampel an und drehte mein Fenster hinunter. Ein Radler stoppte neben mir, drehte seinen Kopf in meine Richtung und spuckte auf die Straße. Sein Gesicht war etwa 30 cm von meinem entfernt.”

Ich habe mir diese Situation so vorgestellt:

Mary fährt Auto und muß an der Ampel anhalten. Wahrscheinlich hat sie die Heizung auf Anschlag, Hitzeanwallungen oder aber einfach einen hochroten Kof nach einer Stunde Radiohören. Sonst macht man im Juli das Fenster nicht auf, es sind 10 Grad draußen.

Da kommt der Fahrradfahrer. Das Gesicht ist dreißig Zentimeter von ihrem entfernt. Mary wird wohl in einem Toorak-Traktor, einem stadttauglichen allradgetriebenen Hochsitzer, durch die Gegend fahren. Über andere Autos sehe ich als Radler hinweg.

Wie der Radler denn Mary erblickt, überkommt ihn der nicht zu unterdrückende Drang, auszuspucken. Gott sei Dank trifft die Spucke nicht Mary, sondern landet auf der Straße. Pfffh. Welche Erleichterung. Alles ist gutgegangen, und Mary kann nach Hause fahren, um über ihre near death experience, ihre Begegnung mit dem Tode, in der Tageszeitung zu berichten.

Zurück zu den weiten Blick mit viel viel Himmel. Den kann man in Melbourne wirklich sehr viel genießen.  Ob im Alltag am Meer, am Albert Park Lake nahe meiner Arbeit, vom Büro zur Innenstadt, beim Bogenschießen oder am Wochenende, wie z.B. an Arthur Seat auf der Mornington Peninsula.

Vor Jahrzehnten, als es noch keine mehrstöckigen Wohnhäuser oder Bürotürme gab, haben Stadtarchiteckten oft öffentliche Gebäude, Denkmäler und Kirchen an Sichtachsen angelegt. Davon ist in der Zwischenzeit einiges verloren gegangen, wie z.B. der Blick auf die Katholische Kirche in Middle Park, die ich entlang der Richardson Street von vielleicht einem Kilometer Entfernung sehen konnte. Vor vielleicht zehn Jahren wurden in der Straßenmitte Bäume geplanzt, die jetzt diesen Anblick der Kirche verstecken.

Von der South Melbourne Town Hall, dem Rathaus von South Melbourne, kann man die Straße hinunter zum Shrine of Remembrance gucken, ein Mahnmal für gefallenene Soldaten. Heute sieht er etwas eingezwängt aus.

Zum Abschied für diese etwas weitschweifige Glosse ein Nachtbild: Einsamkeit am Abend. Ich habe etwa eine Viertelstunde an einem Vorort auf die Bahn in die Stadt gewartet, aber außer vier jungen Leuten, die aus mir unverständlichen Gründen aus einem mitgetragenen Lautsprecher Achtziger-Jahre-Musik spielten, war keine Menschenseele zu sehen.

Die Bahn war dann typisch spätstündlich spärlich besetzt. Im Kontrast zu beschwerenden Wortmeldungen habe ich an diesem Abend, wie oft, wenn ich mit  Bus und Bahn unterwegs bin, festgestellt, daß die meisten Passagiere Masken tragen. Ich selbst habe mich inzwischen daran gewöhnt, beim Betreten geschlossener Räume diese anzulegen. Ich betrachte es als schützende Höflichkeit, so wie man die Hand vor den Mund hält, wenn man hustet. Wenn’s nicht nützt, schaden kann’s auch nicht. Und es soll Schlimmeres geben als Maskentragen.

Die Taliban von Canberra

Diese Woche haben die Bundespolitiker(innen) in Canberra ein Thema diskutiert, welches die ganze Nation seit Jahren zutiefst beschäftigt, ähnlich wie in Afghanistan: Ist es okay, Schüler(innen) aus der Schule zu werfen?

Was, wenn sie z.B. schwul oder lesbisch sind? Oder darf man vielleicht nur ein bißchen diskriminieren, wenn eine Person transgender ist? Und was, wenn Lehrer(innen) nicht den gewünschten kirchengenehmen Einheitsmaßen entsprechen? Wieviel dürfen erheblich durch Steuergelder unterstützte religiöse Schulen diskriminieren?

Unser Talibanführer Scott Morrison, der seinen Gott in einer aus Amerika importierten Pfingstkirche gefunden hat, hat seinen Mannen (und vielleicht auch Frauen, falls sie denn gefragt sind) eine Religious Discrimination Bill versprochen.  Der Name verrät es schon, es geht um Diskriminierung, nicht um Antidiskriminierung.

Australien hat keine Verfassung, die Menschenrechte schützt. Die Freiheit der Ausübung der Religion ist seit der Gründung Australiens im Jahre 1901 hingegen in der Verfassung verankert.

Ich kann es kaum erwarten, wenn das Parlament wieder zusammensitzt, wie üblich die Sitzung mit dem Vaterunser beginnt, und dann zum dringendsten Tagesordnungspunkt userer Zeit übergeht: der fürchterlichen Diskriminierung von Christen und anderen religiösen Menschen.

Australien hat wahrscheinlich noch nicht einmal Hexenverbrennungen erlebt, sondern nur “Ditch the witch”-Proteste, “Werdet die Hexe los”, gegen eine Frau, Julia Gilliard, die aus Versehen Ministerpräsidentin geworden ist. Die Plakate waren auf Demonstrationen zu sehen, angeführt vom damaligen Oppositionsführer Tony Abbott und unterstützt von verarmenden Bergbaumilionär(inn)en. Der wurde dann Ministerpräsident und Scott Morrison sein Minister für Einwanderung und dann für Soziales. Seit damals beweist er stetig seine christliche Fürsorge für Arbeitslose, Flüchtlinge und andere Bedürftige.

Neues um das Park Hotel – Djokovic, Flüchtlinge und Impfgegner

Wenn man mit der Straßenbahn oder dem Fahrrad aus der Innenstadt Richtung Norden fährt (Autos sind in dem Abschnitt der Swanston Street in der Innenstadt nicht erlaubt), vom Fluß und der Flinders Street Station weg, erreicht man einen der sogenannten “Inner Suburbs”, Carlton. Auf der linken Seite ist ein kleiner Platz, der in den letzten nun bald zwei Jahren öfter Schauplatz zumeist kleinerer Kundgebungen war. Ab und an wird in die Richtung eines ziemlich quadratisch-praktisch aussehenden Gebäudes gewunken, und hinter getönten Scheiben kann man Lichter zurückwinken sehen.

Es “beherbergt” seit ca. zwei Jahren Flüchtlinge, und derzeit auch einen der besten Tennisspieler der Welt, Novak Djokovic.

Letzterer wurde, wie viele wissen werden, nach Landung in Melbourne von den Grenzbehörden in den Gewahrsam genommen, um mit dem nächsten Flugzeug zurückgeschickt zu werden. Grund ist seine fehlende Impfung gegen den Corona-Virus, ohne die man gewöhnlicherweise nicht nach Australien einreisen kann, er behauptet, eine gültige Ausnahmegenehmigung zu haben. Derzeit streiten sich Djokovic und seine Anwälte mit den australischen Behörden, um seine Abschiebung zu verhindern.

Im Jahre 2019 haben unabhängige Parlamentarier (die weder der regierenden rechtsgerichteten Koalition von Liberals und Nationals noch der “großen” Oppositionspartei, der sozialdemokratischen Labor Party angehören), eine gegen den Willen der Regierung verabschiedete Gesetzgebung angestoßen, die es möglich machte, Flüchtlinge, die für Jahre auf Nauru oder Manus Island festsaßen, nach Australien zu bringen, um sie hier behandeln zu lassen. Einige Monate später gelang es der Regierung, dieses Gesetz zu widerrufen.

Im Hotel leben derzeit mehr als 30 anerkannte Flüchtlinge, die nach dieser “Medevac”-Gesetzgebung nach Australien kamen. Zumeist aus dem Irak und Afghanistan stammend, könnn sie nicht in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden. Die australische Bundesregierung verweigert ihnen aber auch die Einwanderung nach Australien. Sie leben seit neun Jahren eingesperrt, ohne zu wissen, was mit ihnen in der Zukunft passieren wird. Federführend in dieser “Nichtprozedur” waren und sind Scott Morrison, zunächst als Einwanderungsminister und nun als Ministerpräsident, und Peter Dutton, der, als er Verteidigungsminister wurde,  sein Amt an Karen Andrews abgab, die heute für den Grenzschutz zuständig ist.

Vor dem Hotel versammeln sich regelmässig kleinere Gruppen, um gegen diese brutale Nichtbehandlung von Flüchtlingen zu protestieren. Um die Flüchtlinge mundtot und unsichtbar zu machen, wurden ihre Fenster zugeschraubt und die Scheiben getönt. Daher sieht man nur das Licht ihrer Mobiltelefone, wenn sie zurückwinken.

In den letzten Tagen bekamen diese Protestierenden Gesellschaft. So sah ich am Freitagabend vielleicht 50 Serben, Landsleute von Djokovic, für den sie sich einsetzen, die, teilweise in Trachten und mit Nationalfahnen ausgekleidet,  vor dem Hotel sangen und tanzten.

Darunter waren zumindest einige, die auch mit Djokovic’ Widerstand gegen Impfungen sympathisieren. Die “Großmütter für Flüchtlinge”, die sich natürlich die Möglichkeit, auf das Schicksal der Flüchtlinge hinzuweisen, wenn Fernsehteams, wie z.B. das BBC-Frühstücksfernsehen,  nicht entgehen lassen wollen, waren ihnen gar nicht recht. Einige Serben wollten sich mit diesen maskentragenden älteren Frauen anlegen. Diese blieben ruhig, und im Laufe des Abends haben einige Serben etwas über die Flüchtlinge hinzugelernt.

Am Ende sangen die Serben “Happy Birthday” für Mehdi, einen iranischen Flüchtling, der im Hotel seinen zweiten Geburtstag verlebte, wenn man das als Leben bezeichen kann. Er erreichte Australien als 15jähriger. Seine in Gefangenschaft verbrachten Geburtstage, bis jetzt: 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24.

Am Samstagmorgen war es vor dem Hotel ruhig, nur die Bundespolizei war da. Ob er sich um die Fluchtlinge kümmere, fragte ich einen der Polizisten. “Ja, das ist mein Job”, antwortete er. Es klang nicht enthusiastisch, ein wenig entschuldigend.

Am Nachmittag war eine andere kleinere Gruppe, vielleicht zwanzig, vor dem Hotel: Eureka-Flaggen schwenkende Impfgegner. Ich fragte einen etwa 20jährigen, ob er sich für die Freiheit für die Flüchtlinge einsetze. “Nein, ich bin für Novak [Djokovic] hier.”.

“Der ist Millionär, und kann sich sicher um sich selbst kümmern – vielleicht doch für die Flüchtlinge?”, fragte ich ihn.

“Nein, über die Flüchtlinge weiß ich nicht Bescheid”. “Bist Du Australier?” “Ja. Und wo kommt dein Akzent her?” “Aus Deutschland.” “Ach, da leben die Flüchtlinge doch alle in Ghettos jetzt.”

ich drückte meine Verwunderung aus, daß er über die Flüchtlinge in Deutschland so gut Bescheid weiß, aber nichts über die vor seiner Nase.

Inzwischen kamen zwei etwas ältere recht massive Männer hinzu. “Du kannst jetzt gehen.” Es klang drohend. “Freiheit” ist denn doch relativ. Das heißt noch lange nicht, daß man was sagen darf, was diese “Freiheitskämpfer” nicht mögen.

 

2022 zum Ersten: Besuch in Cranbournes Botanischen Garten

.. der auch der Australian Garden genannt wird, da er sich, anders als der botanische Garten in der Innenstadt, den in Australien wachsenden Pflanzen widmet.

Nachdem man den Eingang passiert hat, steht man vor einer großen dekorierten Fläche voller roten Sands. Diese Fläche, die während des Rundgangs immer wieder in den Hintergrund rückt, symbolisiert das Innere des australischen Kontinents, das Red Centre, Rote Zentrum. Es ist ein spektakulärer Anblick, wenn auch nicht ganz unstrittig, da er nicht unbedingt typisch für Melbourne und seine Umgebung ist. Entworfen im Jahre 1996 bei Landschaftsarchitekt Paul Thompson und T.C.L., füllt diese Fläche und der Garten eine frühere Sandgrube, auf einem Gelände, welches lange Zeit von der Armee benutzt wurde. Vor der Kolonialisierung waren hier die Boon wurrung zuhause, einer der lokalen Stämme der Kulin Nation, die das Land um die Port Phillip Bay besiedelten.

Der Garten beherbergt eine Handvoll verschiedener Landschaften. Da ist z.B. der trockene Fluß, der der Besucherin, dem Besucher den delikaten Charakter vieler australischer Regionen vor Augen führen soll, die nicht selbstverständliche Anwesenheit von Wasser. Wer jemals im Landesinnere unterwegs war, weiß, daß viele Flußbecken lange Zeit kein Wasser führen, oft bleibt nur etwas in kleinen Teichen, den billabongs, übrig, oder es verschwindet ganz unter der trockenen Erde, bis ein Regenguß frisches Naß bringt.

Dazu im Gegensatz ist im Garten auch eine “Wasserlandschaft” zu sehen.

Wir leben übrigens im zweiten La Nina-Sommer, was ungewöhnlich ist. Dieser Sommer ist selten richtig heiß, auch wenn wir zu Silvester ca. 40 Grad hatten. Inzwischen kam der “cool change” und wir sind wieder bei etwas mehr als 20 Grad angelangt. Das perfekte Wetter für einen Gartenspaziergang.

Es gibt im Garten auch einen Grass Tree Walk, einen mit Grasbäumen bestandenen Pfad, der mich an einen Zweitagemarsch südlich von Perth erinnerte. Als Tourist im Jahre 1997 habe ich mich dort von einem Bus “aussetzen” lassen und bin durch diese Grass Trees gewandert. Es hatte kurz vorher gebrannt, und aus den angekohlten “Bäumen” schossen Samenstangen hervor, vielleicht halbmeterlang, großen Mikrofonen gleichend. Einige Pflanzenarten benutzen oder gar benötigen diese Waldbrände, um sich zu vermehren, da der mit Asche bedeckte Boden die beste Nahrung für frisches Wachstum sind.

Viele Eukalypthen, hier “gum trees” genannt, wachsen besonders nach großen Feuern. So z.B. die Mountain Ashes, die unweit Melbournes in den Dandenong Ranges und anderen bergigen Regionen zu finden sind. Oft verbergen sich unter der Rinde Knospen, aus denen nach den Bränden neues Grün entspringt. Diese Rinde ist oft besonders dick, um die Knospen vor dem Feuer zu schützen. Oft ist sie auch sehr hell und glänzend, um soviel Wärme wie möglich zu reflektieren.

Im Botanischen Garten ist eine Tafel Ferdinand von Müller gewidmet, einem in Rostock geborenen und nach Australien ausgewanderten Botaniker. 1825 in Rostock geboren, wanderte er mit zwei Schwestern 1847 nach Australien aus, da eine der Schwestern gesundheitliche Probleme hatte und der Arzt ihr wärmeres Klima vorschlug. 1853 wurde er vom Governeur Charles La Trobe zum ersten “Regierungsbotaniker” des Staates Victoria ernannt. Später wurde er Direktor des Botanischen Gartens.

Er bemerkte, daß Eukalyphten oft Insekten vertrieben. Ich erinnere mich, daß ich auf Sardinien von der Anpflanzung von Eukalyphtusbäumen nahe an Wasserwegen gehört habe, um Malaria zu beseitigen. Die Tafel im Garten verweist auf solche Anpflanzungen zur Malariabekämpfung unweit Roms hin und erwähnt, daß von Müller dafür vom Papst die Ritterschaft verliehen bekam.

Auf dem Spaziergang durch den Garten fiel mir nicht nur die Vielfalt der Pflanzen auf, sondern auch die der Besucher(innen). Ich hörte chinesisch, indisch, rumänisch und afrikanische Sprachen.

Soviel für heute. Viel Spaß beim Lesen, und bis zum nächsten Mal!