Bevor ich zum ersten Mal nach Melbourne kam, wurde mir die Stadt als “die britischste” der australischen Großstädte beschrieben. Als ich in das Zimmer kam, in dem ich gerade schreibe, an einem wintrigen, regnerischen Abend, schaute mich die Katze kurz an und ging hinaus. “Wenn Deine Seele eine Katze ist, dann such dir jemand den du ignorieren kannst.” So oder ähnlich habe ich ein paar Zeilen im Kopf, die von einem der Gedichte kommt, die ich gerade gehört habe.
We Come From The Sun, Wir kommen von der Sonne, heißt eine gut halbstündige Platte, die ich heute abend gefunden habe. Cerys Matthews hat sie mit Hidden Orchestra komponiert. Diese atmosphärischen Klänge, die Gedichte von 10 Dichtern aus dem Vereinigten Königreich untermalen, sind ordentlich ein paar Meilen von der Cerys Matthews entfernt, die in den 90ern am Mikro der Rockband Catatonia “Storm The Palace”, Stürmt den Palast, sang, ein Lied, in dem sie dazu aufrief, die königliche Familie zum Arbeiten in den Supermarkt zu schicken.
Die Platte und die Gedichte klingen nach Regen und Wetter und Fußball, nach britischen Inseln, und ein Hauch davon weht derzeit auch in eisigen Regenschauern durch Melbourne. Heute hat das Thermometer gerade mal die 10 Grad überschritten, und unweit der Stadt, so hört man, hat es geschneit. Es ist der erste Tag des Monats Juni, dieser Temperatursturz kommt doch recht früh. Es ist die Zeit, in der man sich hier den Schal um den Hals legt und den Schutz von Vordächern und Häusern, sein Zuhause, die Kneipe oder den Konzertsaal aufsucht.
Einen sehr kleinen Konzertsaal, den band room eines Hotels, einer Kneipe in Northcote, habe ich vor kurzem besucht. Das Wetter war so-so, draußen stand “Booze”, Fusel, dran, die Kneipe war etwas mehr als wohnzimmergroß, der band room dahinter ebenfalls. Den Schlaks neben dem Eingang erkannte ich wieder, Andy White, ein irischer Folksänger, der hier sein Zuhause gefunden hat. Vor mir saß auf dem Boden ein junger Mann mit dunkelbemalten Fingernägeln, der später Andy am Schlagzeug begleiten sollte: sein Sohn.
Doch zunächst betrat Kavisha Paola Mazella mit ihrer Gitarre die Bühne. Walk with me through the pouring rain, geh mit mir durch den Regen, der auf uns niedergießt, sangen, brummten und summten ein paar Minuten später die vielleicht dreißig Gäste, als sie ihr Lied über St.Kilda sang. St.Kilda ist bei mir um die Ecke, am Wasser, ein Badeort, der ein wenig was vom Prenzlauer Berg an sich hat, aufgehübscht und dazwischen die, die nicht so recht reinpassen, auf der Straße zuhause sind und sich bei Brot und Suppe in der Sacred Heart Mission aufwärmen.
Ein anderes Lied, welches mir im Gedächtnis geblieben ist, heißt Viva Sara. Vor eingen Jahren war sie im Süden Frankreichs, am Strand von Saintes-Maries-de-la-Mer. Am 24.Mai jeden Jahres ehren die Romani ihre Heilige mit einem Fest, an dem gesungen, getanzt und gefeiert wird. Die Romani kommen von überall her, von allen Ecken Europas. Die Mütter und ihre Kinder sitzen dabei auf den Dächern, erzählte die Sängerin von ihren Erinnerungen an das Fest am sonnigen Mittelmeer, bevor sie ihr Lied anstimmte.
Sie ist in Perth aufgewachsen, wo auch ein Bogenschütze herkommt, neben dem ich an Sonntagen öfter mal an der Linie stehe, wenn ihn nicht der Beruf woandershin verschlägt. Aaron Wyatt spielt Geige und dirigiert. Das tat er auch bei einen der freien Konzerte, die das Melbourne Symphony Orchestra jedes Jahr im Sommer in der Domain veranstaltet. Er dirigierte das Welcome to the Country, ein Willkommen der Aboriginals. Es sang die Aboriginal Sopranistin Deborah Cheetham, die es auch komponiert hatte.
Ich meinte, ihre voluminöse Stimme schon einmal gehört zu haben, in der Nationalgalerie hier in Melbourne. Damit lag ich richtig, ihre Stimme und ihre Eigenkomposition begleitet eine Videoinstallation, die mich fasziniert hat.
Man betritt einen in Dunkel gehüllten Raum, kann sich in einen der Bettsäcke versinken lassen und hört Deborah Cheethams Stimme, eine Komposition, die etwas von Wagner hat. (Das darf gern von Experten bezweifelt werden, es ist mein Eindruck.) Reko Rennie hat die Installation geschaffen. Ein dreigeteilter Schirm, links und rechts gespiegelte Nahaufnahmen, in der Mitte die Stadt. zeigt ihn in einem Holden Monaro von 1973. Er fährt in die Dämmerung, die Nacht durch den inneren Westen der Stadt, der durch den Hafen und Industrie gezeichnet ist und Blicke auf die beleuchteten Türme der Innenstadt freigibt.
Es sind mir vertraute Anblicke. Ich komme aus einer Hafenstadt, mein Vater hat im Hafen gearbeitet. Heute lebe ich nahe von Hafenanlagen, wenn ich abends von zuhause an die Bucht gehe, sehe ich Krane, Pier und Schiffe.
Apropos Zuhause und Industrie: Nahebei ist eine Fabrik, die Vegemite herstellt. Vegemite ist ein salziger hefiger Brotaufstrich, den zu mögen es durchaus Gewöhnung und australischer Kindheit bedarf (also kurz: nichts für mich).
Die lokale Verwaltung hat den Geruch dieser Fabrik als kulturell relevant eingestuft. Fishermans Bend, wie die Gegend heißt, wird über die nächsten Jahre von einer Gegend mit Lagerhallen zu einer mit Wohnhäusern werden. Dabei soll dieser Geruch in irgendeiner Form bewahrt werden. Ich weiß nicht so recht, was das heißen soll.
Einen ähnlichen Geruch kenne ich aus meiner Heimat in Rostock, als ich nahe einer Brauerei wohnte. Es roch nach Bier und Hefe. ich hatte mich dran gewöhnt und mochte den Geruch.
Die Brauerei zeigte zu meiner Seite eine hohe fensterlose Wand. Unten war eine kleine Tür, über der “Haustrankabgabe” stand. Hier bekamen die Arbeiter regelmäßig einen Kasten Bier als Teil der Entlohnung.
Neben der Tür standen die Öffnungszeuiten und der Hinweis: “Im Notfall bitte Telefonnr. …. anrufen.” Wie wohl so ein Notfall aussah?