Warnie

März 2022 in Australien. Die Pandemie ist auf Platz 3 der Aufmarksamkeit gerutscht. Die Fluten weiter nördlich halten größere Teile der Bevölkerung an der Ostküste in Atem, inklusive Sydney und Brisbane, und dann gibt es da auch noch einen Krieg in der Ukraine. Pandemie? Ja, gibt es auch noch.

Und plötzlich ist Thema No. 1 etwas ganz anderes.

Ich bekomme eine Nachricht von einem aus Sri Lanka stammenden Freund: Rip – rest in peace, Ruhe in Frieden – mit einem Foto, auf dem zwei Männer zu sehen sind, von denen einer Shane Warne ist, der berühmteste aller australischen Cricketspieler seit Don Bradman, dessen Leben und Werk und seine Siege in Vindaloo (sorry, hier zitiere ich Bill Bryson, wie er Cricket beschreibt) zum australischen Staatsbürgerschaftstest gehören. Eine weitere Nachricht klärt mich auf: es ist tatsächlich Warnie, der gestorben ist, im Alter von nur 52 Jahren, an Herzversagen.

Cricket gehört in Australien zum Leben vieler Menschen. Das sind sowohl die Australien prägenden Einwanderer aus Großbritannien, die über Generationen hinweg dieses Spiel pflegen, als auch Migranten aus Indien, Pakistan und Sri Lanka. Für Inder scheint Cricket so etwas wie eine Nationalreligion zu sein. Die indische Cricket-Liga ist die bestbezahlende Liga der Welt, das Äquivalent zur englischen im Fußball. In Melbournes Sommer kann man an jedem Wochenende im Park zumeist in weiß gekleidete Menschen sehen, die Cricket spielen.

Ich habe vor kurzem mein erstes Cricketspiel erlebt, im MCG, dem Melbourner Cricket Ground. Es war das küzeste aller Cricketformate, T20, das nur 20 overs (20×6 Bälle), etwa 2 1/2 Stunden dauert, etwa so lange wie ein Footyspiel. Es war ein Länderspiel gegen Sri Lanka, und ich kam deswegen zu dem Besuch, da der erwähnte Freund aus dem Lande mit seiner Tochter in Covidquarantäne feststeckte. Es war nicht so langweilig wie befürchtet, ich fand es ganz im Gegenteil interessant – und ich habe zumindest die Grundregeln verstanden. Das Stadion war nur mäßig besucht, aber die Fans aus Sri Lanka haben ihr Team kräftig angefeuert, auch wenn sie am Ende nicht unerwartet unterlagen.

Ich saß vor ein paar Monaten in Brighton, einem Melbourner Stadtteil, in einem Pub, in dem mir von Fotos bekannte Cricketspieler verkehrten. Auf den Fernsehern an der Wand war Cricket zu sehen, und ab und an wurde ein gefallener Stumpen, ein Wicket, gefeiert. Ansonsten wurde viel geredet und getrunken und Frauen umarmt und mehr geredet, getrunken und umarmt.

Das hat auch Shane Warne sehr gern getan, wie Zeitungen und Fernsehen gern berichteten. Er lebte in Brighton, und diese mit Kreide geschriebenen Spontanwidmung fand ich dort dieses Wochenende.

Von seinen Erfolgen beim Cricket, seinen Skandalen und seinem Charme wurde auch heute viel geredet, die Tageszeitung widmete ihm mehr zehn Seiten. Es wird ein Staatsbegräbnis für ihn geben.

Warnie ist tot. Eine Legende hat Melbourne, Australien und die Cricketwelt verlassen.

(Foto: Tourism Victoria, unter CC 2.0 Lizenz https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.en)