Nachbarvölker in Melbourne

Ich habe mit meiner Frau am Sonntagnachmittag Springvale besucht, ein Stück Vietnam in Melbourne. Nach dem Sieg der Kommunisten aus dem Norden, besiegelt durch den Fall Saigons 1975, flohen Abertausende von Vietnamen übers Meer. Australien unter der Regierung von Malcolm Fraser nahm einige Zehntausende von ihnen auf, und so etablierten sich hier vietnamesische Gemeinschaften, besonders konzentriert in einigen Stadtteilen wie Footscray, North Richmond und Springvale. Hier entstanden Märkte, Geschäfte und Gaststätten, die manche Straßenzüge eher wie Saigon als denn Melbourne aussehen lassen. Von dort aus eroberten Pho, die vietnamesische Nudelsuppe, und Banh mis die Stadt, Brötchen mit Füllung nach vietnamesischer  Art – die Brötchen kamen ihrerseits aus Frankreich nach Vietnam. Sie sind genauso wenig zu übersehen wie Döner in Berlin.

Meine Frau stammt aus dem Süden Chinas, nicht sehr weit von der Grenze zu Vietnam entfernt. Wie überall teilen Grenzen Länder, aber nicht Gebräuche und Geschmäcker. Selbst Sprache und Stämme werden von diesen Grenzen durchzogen und nicht getrennt. Meine Frau hat gute Freundinnen aus China, die ethnisch Vietnamesinnen sind und zuhause vietnamesisch reden, genauso gibt es Chinesen in Vietnam wie anderen Ländern Südostasien, die eine oder mehrere chinesische Sprachen sprechen. Meine Kollegen in Malaysia wechseln je nach Gesellschaft zwischen kantonesisch, Hokkien, Mandarin, Malay und englisch.

Hier in Melbourne Anfang des 21.Jahrhunderts spielen Grenzen glücklicherweise keine all zu große Rolle. Wenn auch ncht immer und überall Friede Freude Eierkuchen herrscht, geht Mann und Frau doch zu allergrößten Teilen tolerant miteinander um.

Die Küche, die Gaststätten und Geschäfte, tragen ihren Teil dazu bei. So haben sich in Melbourne Griechen nach dem zweiten Weltkrieg etabliert, und als einige Jahre später Türken hinzukamen, fanden sie die griechischen Fleischer und Gewürze und Restaurants, die Ähnliches anboten als sie von zuhause kannten. Man geht lieber dort einkaufen, als sich mit ihnen zu streiten und die Balkankriege fortzusetzen. Bei den Kindern ebbten die “erebten” Differenzen weiter ab. Ein befreundetes Ehepaar hat Eltern aus Griechenland (er) und Slowenien (sie), die ihrer besten Freundin sind aus (nun offiziell Nord-)Mazedonien etc. pp. Wenn ich Lust auf Rollmops oder Wurstwaren habe, die mich an Deutschland erinnern, kaufe ich die bei einer Polin am South Melbourne Market. Gute “europäische” Küche finde ich in St.Kilda East, Balaclava oder Elsternwick, wohin es um den Zweiten Weltkrieg herum viele Osteuropäer verschlagen hat, eine Gegend, die bis heute auch durch jüdische religiöse Gemeinschaften, Geschäfte und Gepflogenheiten geprägt sind.

Ich habe mich, auf den Beginn eines Films in Elsternwick wartend, spontan zum Abendessen in einem russischen Restaurant, dem Nevski, entschlossen, und dort Ente mit Rotkohl gegessen als auch zum Ende einen Wodka getrunken, einen Stolichnaya, dabei an meinen Vater gedacht, mit dem ich am liebsten angestoßen hätte (er mag diesen Wodka sehr), und dabei mich nicht im geringsten dsaran gestört, daß es ein russisches Restaurant ist. Viele Auswanderer haben oft von der Politik in ihrer alten Heimat genug, oder mußten gar davor fliehen. Ich habe besseres zu tun, als mich mit ihnen anzulegen. Wenn mir Putin über den Weg gelaufen wäre, das wäre was anderes gewesen.

Übrigens: Was ist der Unterschied zwischen Putin und Gott?

Gott hält sich nicht für Putin.