Ich habe ja versprochen, ein wenig über die letzten Wochen zu schreiben. Vorher müssen wir aber noch eine Bundestagswahl oder das australische Pendant, die Wahl zum Bundesparlament, hinter uns bringen. Langsam sehne ich mich nach der Volkskammer zurück. Da gab es wenigstens keine Wahlkampagnie, es war einfach nicht nötig zu beweisen, daß die Welt eine Scheibe ist. Dafür sind hier Murdoch und andere Milliardäre zuständig, die ganze Bagage, die für sie schreibt und im Fernsehen auftritt. Ich habe gestern, auf der Suche nach Max Goldt, im Internet eine Meinung gefunden, daß die BILD-Zeitung die AfD ermöglicht hat. Hier ermöglicht das eine “konservative” Regierung, wobei es mit dem Konservieren nicht so weit her ist, wenn man von der Konservierung der Herrschaft absieht.
In Melbourne wohnend, ist das doppelt bitter. John Howard, Tony Abbott, Christiansen, Bob Katter, Palmer, Craig Kelly, Scott Morrison – die Mehrzahl der Politiker, die unser Land vergiften oder zum Gespött preisgeben, kommt von weiter im Norden, von der anderen Seite der Barassi Line, der Linie, die kulturell das land in zwei Sportarten und weiter in zwei Kulturen unterteilt.
Ian Tucker, ein Melbourner Akademiker und Richmond-Fan (Richmond, der Footy-Klub), gab von 1966 bis 1978 Vorlesungen, um Ron Barassi senior zu ehren, einen Footy-Spieler, der bei Tobruk, in Nordafrika, im Zweiten Weltkrieg sein Leben ließ. Seine Barassi Line zerteilt das Land. Im Nordosten Australiens, an der Küste Queenslands und New South Wales, herrschte – und herrscht – Rugby, im Rest des Landes wird überwiegend Footy, Australian Rules Football gespielt.
Ein wenig reflektiert das auch gesellschaftliche Unterschiede. Sydney, eine zunächst als Strafkolonie noch im 18.Jahrhundert gegründete Stadt, war eine sehr konservative, dem englischen Klassensystem nachgeformte Gesellschaft, in der Rugby, das Spiel der Gentlemen, der Aristokraten, seinen Platz fand. Melbourne wurde 50 Jahre später gegründet, im Viktorianischen Zeitalter der Aufklärung. Schon früh in seiner Stadtgeschichte setzte das Goldfieber ein, welches Melbourne wachsen ließ und Wohlstand schaffte. Hier fand schnell ein lokal geschaffenes Spiel, Australian Rules Football, Anklang.
Der Name Barassi Line selbst ist ein Wortspiel auf die Brisbane Line. 1942 wurde der (sozialdemokratischen) Labor-Regierung der Vorschlag gemacht, im Falle einer japanischen Invasion, die durchaus möglich erschien, die industrialisierten Landesteile von Brisbane weiter südlich zu verteidigen, und das weite Land nördlich den invasoren zu überlassen. Dieser Vorschlag wurde von John Curtin und seiner Regierung verworfen. Ein Minister, Eddie Ward, nahm dies zum Anlaß, die vorherige, konservative, Regierung unter Robert Menzies dieses Plans zu beschuldigen. Robert Menzies bestritt das. Die Regierung ließ daraufhin eine Untersuchung führen, die überprüfen sollte, ob da etwas dran sein. Es konnten keine Dokumente gefunden werden, die den Vorwurf erhärteten, nichtsdestotrotz trug die Untersuchung nicht zum Ruf von Menzies bei und half Labor und John Curtin, ihn bei der nächsten Wahl zu besiegen.
Auf unserer Osterreise, die uns auch durch Canberra, die australische Hauptstadt, führte, sah ich John Curtin und seinen Weggefährten Ben Chifley.