Mein erstes Konzert seit dem Erscheinen des Coronaviruses. Angekommen, Soundcheck gehört, alles gut. Noch mal an die Bar, was zum Knabbern holen. Ob der Künstler pünktlich ist? Aussies sind es ein der Regel. Das fiel mir positiv auf, als ich aus Deutschland hier ankam, gewohnt, daß Bands lange auf sich warten lassen. Oft war es dort neun oder gar zehn, wenn die Band auf der Bühne erschien, auch wenn sie um acht angekündigt waren. Wie vieles läßt sich das aus dem Umfeld erklären, denke ich. In Deutschland geht man in ein Rockkonzert, in Australien ging man oft in die Kneipe und hörte Musik. Die Kneipen haben leider vor ein paar Jahrzehnten ein besseres und profitableres Mittel gefunden, um Leute anzulocken – Spielautomaten – es gibt aber immer noch genügend Kneipen, die Musik spielen.
Oder: es gab. Im Moment leider nicht, und so müssen wir mit dem Livestream vorlieb nehmen, über den das Konzert aus Sydney zu mir nach Hause kommt. Wie gesagt, der Soundcheck war gut, der ungepufferte Bilderstrom erreicht mich leider eher als Slideshow, als es anfing. In Deutschland haben Ende des Jahres die Hälfte aller Haushalte Zugang zu 1GBit/sec, habe ich heute gelesen, hier kann man davon nur träumen. Schön, Politiker am Ruder zu haben, die sich als gute Wirtschaftsmanager verkaufen. Ich schweife ab. Der Ton ist kristallklar, und so nehme ich die Wackelbilder in Kauf statt meine Zeit mit Ritualen zur Besänftigung der Netzwerkgötter zu verbringen.
Für eine Stunde oder ein bißchen mehr begebe ich mich in die Welt von Tim Minchin, höre sein neues Album Apart Together. Es sind Songs über Leben zusammen, leben voneinander getrennt, das Leben von Musikern und anderen Menschen. Sicherlich, die Musik ist gut, erfahren mit Musical und Shows, weiß er, die Ideen, die Lieder umzusetzen, Trompeten und Geigen und Trommeln spielen auf und funkeln und glänzen.
Mich sprechen aber auch die Texte an, die er mit Einleitungen schmückt, die oft witzig sind, wie viele seiner Songs. Er würde aber nie eine Platte voller komödiantischer Songs machen, meint er. Das waere wie Sex ohne Kamera, also, was soll’s?
In dieser guten Stunde werde ich über kurze englische Sommer, die auf einen Donnerstagnachmittag fallen, hören, “Summer Romance”, über das Leben auf der modernen Landstrasse, die Gosse von Business Lounges am Flughafen, “Airport Piano”, die Verführungen auf dem Weg, wie es sich anfühlt, wenn man statt “Gehen wir zu mir?” “Ich geh jetzt nach Haus” sagt, die Nacht mit $25 aus der Minibar verbringt und morgens erleichtert allein aufwacht und sich schuldig fühlt, all die Pringels gegessen zu haben. Es sind Liebeslieder, manche schön und besinnlich, einige, die erahnen lassen, wie wütend er manchmal auf unsere Welt ist. So, wenn er von der Idylle eines Campingwagens singt, in der eng umschlungen ein altes Paar erfroren ist, da es die Stromrechnung nicht bezahlen konnte. Das ist die Story des Titelsongs, “Apart Together”.
Das alles kommt in den Liedern kurz, in seinen Ansagen etwas maendernd herüber. “Talked too much, stayed too long”, redet zu viel und bleibt zu lange, wie er in einem Lied besingt, und sich vorstellt, dass diese Zeilen auf seinem Grabstein stehen könnten.
Ich hoffe, er hat noch einiges zu sagen.