Melbourne ist eine Stadt voller Musik. Ich nahm mir letzte Woche etwas Zeit, sie hautnah zu erleben.
Am Freitag war ich bei PBS zu Gast im Studio. Gast? Nicht wirklich. Ich bin einer von tausenden “Mitgliedern” (members), die mit ihrer Spende jaehrlich dafuer sorgen, dass der Sender im Radio und im Internet zu hoeren ist. 106.7 PBS FM ist einer von mehreren “community radio stations”, die von Melbournern getragen werden, ob als Spender oder Freiwillige, die das Programm gestalten, am Telefon sitzen, Veranstaltungen planen und mehr.
PBS ist das Zuhause der weniger gehoerten Musik, “Home of the little-heard music”. In woechentlicher Abfolge wechselt das Program zumeist zwei-, manchmal einstuendig. Meine Familie hoert gelegentlich The Breakfast Spread, die Fruehstueckssendung, oder was sonst so kommt, am Freitagabend auf einer spaeten Fahrt nach Hause Metal Genesis mit Wendy, am Montagabend Mumbai Massala mit Richi Madan, oder am Sonntagnachmittag auf der Heimfahrt aus dem Schnee 106.7 Flight to Africa, welches jede Woche mit “Africa” von Salif Keita, einem aus Mali stammenden Saenger, eingeleitet wird, einem hypnotischen Klang westafrikanischer und franzoesischer Worte.
Letzte Woche “Drive live” war eine Moeglichkeit, Bands im Studio zu sehen als auch die Moderatoren bei der Arbeit, beim Ansagen, bei Interviews und mehr zu beobachten. Jeder sucht sich einen Platz vor den Glasswaenden der Studios, um sich die dort spielenden Musiker und Moderatoren anschauen zu koennen. Ein wenig erinnert das Ganze an ein grosses Terrarium, bewohnt von der interessanten Spezies Homo musicus. Vor dem Terrarium schlagen Kinder Rad, quatschen Freunde, stehen Leute mit dem Bier in der Hand vor den Bands und hoeren ihnen zu. Als ich am Freitag im Studio reinschaute, konnte ich zunaechst MOD CON geniessen, Erica Dunn, die bei PBS ihre eigene Show hat, “Mixing Up The Medicine”, Sara Retallick and Raquel Solier.
Ein anderes jaehrliches Ereignis ist das Musikfestival in St.Kilda. Auf mehr als einem halben Dutzend Buehnen in diesem Stadtteil am Strand spielen Musiker, und zwischen ihnen pendeln die meist jungen Leute, Backpacker und Einwohner dieser Stadt, essen und trinken von den Staenden oder den Gaststaetten der Ackland Street und Umgebung, besuchen den gleichzeitig stattfinden woechentlichen Kunstmarkt an der Upper Esplanade und mehr.
Mein Favorit war die kleine Songwriters’ Stage. Ein kleines Zelt im Sand und dahinter die Seebruecke mit dem Kiosk weit draussen und der weisse Schaum der Wellen, die dem Strand entgegenrollen. In den Catani Gardens hoerte ich leicht angejazzte Musik der einheimischen Northern Folk, um dann zum Luna Park weiterzuschlendern. Hier begeisterte mich Electic Fields, ein Soul&Electronica-Duo, die Stimme von Zaachariaha Fielding, der aus dem Roten Zentrum des Landes stammt, begleitet von Michael Ross an den Keyboards. Danach spielten auf der grossen Buehne neben dem Seebad, das Meer im Ruecken, die Rockveteranen von The Models. Junge Menschen versuchten sich im Moshpit, einige trugen ihre Freundinnen auf den Schultern, es wurde getanzt, mit den Fuessen gewippt oder einfach nur auf dem Rasen gesessen.
Wesentlich “gesetzter” ging es in der Rod Laver Arena zu. Am Dienstagabend lief ich dem Olympic Precinct, der Ansammlung Melbourner Spielstaetten entgegen. Ein paar Tausend Leute gingen zum Fussballstadion, mit dunkelblauen T-Shirts und Schals ihre Verbundenheit mit Melbourne Victory zur Schau stellend, welche an diesem Abend ihre Saison in der Asian Championsleague begannen. Die anderen trugen haeufig Pink Floyd-T-Shirts. Roger Waters, Saenger und Bassist dieser Band, spielte in der Rod Laver Arena. Vor dem Eingang wurden Karten verteilt, die zur Unterstuetzung der Palaestinenser aufrief.
Es setzte den Ton fuer den Abend. Roger Waters macht heute mehr denn je Musik, die sich kritisch mit der Welt auseinandersetzt. Er erinnerte die Menge an die Anti-Atomwaffen-Bewegung, International Campaign to Abolish Nuclear Weapons, die dieses Jahr den Friedens-Nobelpreis verliehen bekam. Diese Bewegung hat seine Wurzeln auch in Melbourne, wo im Jahre 2007 die ersten Verantstaltungen stattfanden.
Er war sichtlich enttaeuscht, dass diese Preisverleihung fuer viele offensichtlich immer noch eine Neuigkeit ist. Wer weiss, war er gesagt hatte, haette er gehoert, dass die hiesige Regierung gerade beschlossen hat, Milliarden zu investieren, damit Australien zu einem fuehrenden Waffenexporter wird, um mehr Tod in die Welt zu tragen. Er mag gegen Trump und die Tories in England wettern, wir haben hier unseren eigenen Anteil an einem Zustand der Welt, fuer den man sich schaemen sollte.
Dieser Zustand der Welt ist Thema seiner Lieder und einer erstaunlichen visuellen und akustischen Praesentation.
Das Anfang der 70er veroeffentlichte Pink-Floyd-Album “The Dark Side Of The Moon” umrahmte die Show. Er begann das Konzert mit dem ersten Stueck der Platte, und beendete es mit dem letzten, und er spielte alle Stuecke, Time und Money, The Great Gig in The Sky und Us & Them, welches seiner diesjaehrigen Tour den Namen gab. Die meisten seiner Lieder waren aus den 70ern, aus den erfolgreichen Alben “Wish You Were Here”, “Animals” und ein wenig von “The Wall”, von dem er sich fuer die Zugaben bediente, und zu dessem “Another Break In The Wall” Melbourner Schulkinder auf der Buehne standen, die sich am Ende des Liedes aus ihren orangen Overalls befreiten und dann “Resist” – Widerstand – auf ihrem Koerper trugen.
Waters spielte auch zwei Stuecke von seinem neuen Album “Is This The Life We really Want?”. “Deja Vu” und “Picture That” zeigen ihn als das wuetende Pendant zu David Bowie, der seine Enttaeuschung mit dem Zustand der Welt in seinem Spaetwerk nur etwas zurueckhaltender ausgedrueckt hat.
Nichtsdestotrotz vermag Waters mit seiner Musik und der visuellen Darstellung, mit den Gesichtern und Koerpern einfacher Menschen in all diesem Chaos, eine Hoffnung zu vermitteln, wenn wir humaner, menschlicher, umgehen, wenn “Us & Them” zu einem klaren “Us” – “Wir” wird.