Ein Winternachmittag in St.Kilda, unserem Zuhause seit ein paar Monaten, seit letztem Jahr. Meine Füße wärmen sich langsam wieder auf. Wohl ist es gerade draußen nicht gerade supergemütlich, es nieselt immer mal wieder, feiner Sprühregen, und das Thermometer klettert gerade so über die 10 Grad. Für die kalten Füße ist aber die Nässe verantwortlich, die das Gras durchweicht, durch welches wir am Morgen liefen, um unsere Pfeile aus den Zielscheiben zu ziehen.
Trotzdem hat das Bogenschießen Spaß gemacht. Wie es so schön heißt: Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur unpassende Kleidung. In meinem Fall ist es Zeit für Gummistiefel. Ansonsten war es wie üblich: allerlei Geschnatter über Gott und die Welt mit meinen vertrauten Nachbarn an der Schusslinie, Kaffeepause und Pfeile, die ab und an sogar dahin flogen, wo sie hingehören: in die Mitte, ins Gold.
Während im Radio PBS Salif Keita spielt, Africa, das Lied, welches jeden Sonntag Flight 106.7, zwei Stunden afrikanischer Musik, beginnt, denke ich an die vergangenen Tage zurück.
Gestern gingen Q und ich gen Osten die Carlisle Street entlang, nach Caulfield. Samstag, am Sabbath, sieht man viele Juden auf der Straße, die Männer und Jungen mit ihrer Kippa, die Frauen und Mädchen in Kleidern. Unsere Wohngegend ist voller Einwander:innen aus Europa, die entweder vor dem Krieg und dem Holocaust bis nach Melbourne flohen oder später auf der Suche nach Wohlstand und Glück hier anlandeten. Das Cafe Uffizi, in das wir für einen Cappuccino einkehrten, erschien mir mit seinem italienischen Chef und seinen Gästen wie ein Stück nach Melbourne verstreutes Europa.
Im Caulfield Park begegnete uns ein sehr merkwürdiger Sport, Lacrosse genannt, wie mir einer der Zuschauer erklärte. Die Spieler warfen sich mit mannshohen Keschern, mit denen man sonst wohl Fische aus dem Wasser hätte holen können, den Ball zu und versuchten ihn in ein kleines Tor zu werfen., Das Tor hatte in etwa Eishockeytorgröße, die Spieler trugen Helme und Padding. Sehr kanadisch? Wie ich später herausfand, wurde das Spiel im vorkolumbianischen Nordamerika gespielt. Für die dortigen Ureinwohner:innen war es ein Ritual, an dem Hunderte von Leuten teilnahmen und das bis zu drei Tagen dauern konnte. Heute ist es wohl auf uns eher vertraute Maße “geschrumpft”. Ich habe keine Ahnung, wie das Spiel nach Australien kam, es war eine Überraschung für mich.
Später machten wir uns auf den Weg in die Melbourner Innenstadt, auf den Weg in eine Galerie. Unterwegs kamen wir am Recital Centre vorbei, vor der hunderte Kinderwagen standen. Warum? Die Wiggles, eine Band für Kinder, traten im Centre auf. Ach so.
Ein etwas anderes Konzert besuchten Q und ich eine Woche zuvor. S ist Sängerin, Sopran, im Studentenchor des RMIT. Sie veranstalteten ein Pride-Konzert, einen Abend die queer community zelebrierend. Die Musik ging von hier und jetzt zurück in die Vergangenheit, von Mika über Freddie Mercury zu Tschaikowski und Dominque Phinot ins 16.Jahrhundert nach Frankreich, wo der Komponist wegen Homosexualität hingerichtet wurde. Seine Musik hat die Zeit überlebt und gehörte für mich zu den schönsten Stücken des Abends.
Zurück zum Samstagabend in der Innenstadt: Wir gingen ins Buxton Contemporary, eine Ausstellung namens Nightshifts, Nachtschichten, der Ankündigung nach eine Schau, die sich mit den ruhigen Momenten, der schöpferischen Einsamkeit des Künstlers, der Künstlerin, beschäftigt.
Ein großer dunkler Raum war Lisa Sammuts Doppelwerk Full Circle und How the earth will approach you, gewidmet. Inspiriert wurde sie durch die Erkenntnis, dass der Halleysche Komet sich zweimal in ihrem Leben der Erde nähern wird. Mit der Installation denkt sie über das Verhältnis kosmischer Zeit und menschlicher Lebensspanne nach. An der Wand war eine Projektion runder, eiförmiger Körper, “Himmelskörper”, zu sehen, im Raum hingen eiförmige große Rahmen, in die Glaskugeln und Spiegel eingearbeitet wurden, in denen sich die Projektion bricht und spiegelt.
Weiter zu sehen war eine Videoinstallation von Vicki Couzens, mit Musik und Gesang. Die in Warnambool geborene Ureinwohnerin projizierte Landschaft und menschliche Werke sowie eine junge Frau in traditioneller Bemalung (sie selbst?) tanzend und singend auf den Boden und die Wände. Landschaft ist, modernes Menschenwerk ist, die Künstlerin ist. Über die letzten mehr als 200 Jahre schwierige Koexistenz. Vor hundert Jahren nahmen die hier Herrschenden an, dass die Ureinwohnerin aus diesem Land verschwinden wird.
Constanze Zikos’ Werk darf in meiner Erzählung nicht fehlen: Ein Bild mit Bogenschützen!